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Ich denk' mal

Innere Monologe


 

 Klappentext  

Wir haben Navis, die uns sagen, wo es langgeht. Wir haben iPods und Radios, die uns von früh bis spät beschallen. Wir haben PlayStations und Game Boys, die uns rund um die Uhr unterhalten. Wir haben Handys, die uns jederzeit miteinander verbinden und jeden Augenblick festhalten. Wir haben Google und Wikipedia, die uns alle Fragen in Sekundenschnelle beantworten. Die Medien und das Internet sagen uns,was wir denken sollen, wie wir reden sollen, was wir essen sollen und was wir kaufen sollen. Was macht das mit uns? Werden wir verlernen uns zu orientieren, uns zu beschäftigen, einander zuzuhören oder einfach abzuschalten und die Stille auszuhalten?  

Ich denk' mal. Innere Monologe hört dem Gehirn beim Denken zu, in alltäglichen Situationen und zwischendurch, und zeichnet seine bizarren Sprünge, Urteile und Erinnerungen im O-Ton auf.  

Inhalt 

Aufgelesen * Ich hab' ein Geheimnis * Gelobt sei Google! * Ich shoppe, also bin ich * Dumm gelaufen * Aber bitte mit Schoki! * Voll orientiert * Bedudelt * Alles im Kasten * Aufgelesen * Korrekt gedacht

 

Leseproben

Aufgelesen 

 

Mal wieder voll hier, wie jeden Morgen, dicke Luft, und alle gucken nach unten auf irgendei­nen vier­eckigen blinkernden Kasten, keiner bietet einem einen Platz an, hallo, können Sie da vielleicht Ihre Füße wegnehmen? Danke, jetzt kannst du auch weiter in dein Handy glotzen und daddeln, bitte­ schön. Gott, das Ge­piepse nervt, vor allem, weil ich mein Handy vergessen hab', sonst würd' ich doch auch, halbe Stunde bis Stuttgart, wie halt ich das bloß aus? Wenn nicht wieder Baustelle ist ir­gendwo, oder Triebwagen kaputt, oder Selbstmör­der, arme Kerle, aber warum immer auf meiner Strecke? Oder, lieben wir alle am meisten: Störun­gen im Betriebsablauf! Klar, danke schön, es läuft nicht, weil es nicht läuft, total logisch! Ich hab auch immer wieder Stö­rungen im Betriebsablauf da­heim, aber was hilft's, die Wäsche wäscht sich nicht von selbst, auch wenn sie bald in jeden Socken ein Stück Elektronik packen, das anzeigt, wann er zu waschen ist und mit welchem Weichspüler und wo der zweite sich versteckt hat! Der piepst dann, piepsende Socken im Duett! Un­gefähr genauso furchtbar wie Handy-Klingel­töne, mal ruft der Imam, mal kräht der Hahn, oder, besonders origi­nell: es klingelt, lol! Oder klassisch, Beethoven, für Bildungssnobs, guckt doch mal wie kultiviert ich bin! Da-da-da-dammm! Soll ja wohl individuell sein oder so. Individuell ist immer gut, vor allem wenn man dran verdienen kann, und jeder Tag ein neuer individueller Klingelton ist billiger als jeden Morgen frische Socken – was das wieder mufft hier![... und weiter ...]

   


Gelobt sei Google! 

Seit Wochen hör ich nur noch Krim, Krim, nix als Krim, was oder wo ist das eigentlich? Krim­sekt, das gab's doch früher mal, als die Russen noch die Bösen waren und wir dieGuten. Heute verliert man total den Überblick, jetzt soll wieder Putin der Böse sein, aber die Ame­rikaner sind ja nun auch keine Unschuldsläm­mer, ich sag nur: Drohnen! Guantanamo!! NSA!!! Nee, ist alles nicht so einfach mit der Politik, und eigentlich geht's dann doch wieder nur um Geld, wenn man genauhinschaut. Deshalb schaut man ja schon nicht mehr. Na gut, aber man muss ja informiert sein, bisschen we­nigstens, man kann ja nicht immer nur den Mist weiter erzählen, den man im Fernsehen hört. Frü­her hätte man noch in einLexikon ge­schaut, Brock­haus und so, dicke Wälzer, im­mer ein bisschen staubig, ich riech es geradezu, und ganz klein ge­druckt und wenig Bilder, nee! Natürlich, sah noch nach was aus im Bü­cherregal, wenn man jetzt den Kindle hinstellt, sieht's ja nicht so prall aus. Ande­rerseits. Der LCD-Fernseher braucht ja auch Platz, und Bü­cher machen so viel Staub.   

Also googeln wir mal ein bisschen, hab eh nichts besseres zu tun: "Krim" – natürlich, gleich als erstes Wikipedia, ist ja immer ein bisschen lang, aber was hilft's, dafür kostet es nix, eigentlich ein Wunder, oder? Ach guck, so ein kleines Zipfelchen ist die Krim nur, da ganz unten, ist ja beinahe eine ganze Insel, keine halbe, hängt kaum dran amFestland! Inseln sind ja schön zum Urlaub machen, Sylt, Mal­lorca, Malediven! Reif für die Insel, sagt man nicht so? Sind wir zwar alle, aber was meint man eigent­lich damit? Haben alle eine Klatsche auf der Insel oder was? Nee, wahrscheinlich nicht, wahr­schein­lich eher Einsamkeit und Er­holung und so, jeder ein kleiner Robinson auf seinem Insel-Impe­rium, kein Stress außer run­terplumpsenden Ko­kosnüssen und schnat­ternden Affen. Andererseits. Kein WLAN und Handyempfang, Gott, das würde doch nun wirklich keiner aushalten, so ganz mit sich und der Natur alleine! (... und weiter ....) 

  

Ich shoppe, also bin ich 

Was man nicht alles in der Zeitung liest! Ist ja et­was unhandlich, diese Blatt, aber wenn es schon rumliegt hier in der U-Bahn, und das blöde Handy geht mal wieder nicht, Akku alle, wahrscheinlich sollte ich doch ein neues kau­fen. "Deutschland wieder Meister im Export­überschuss!" Na klar, wir sind doch überall Meister, oder? Wo ist das Prob­lem? Ach so, wir nehmen zu viel Geld ein und ge­ben zu wenig aus. Und weil man Geld einnehmen nicht ver­bieten kann, muss man eben mehr ausge­ben. Sagen die Experten, die müssen's ja wissen. Binnennachfrage nennt man das, komisches Wort, erinnert an Binnengewässer, plätschern so dahin. Oder auf Rechnungen steht manch­mal, ich solle binnen zweier Wochen endlich das Geld ab­drü­cken, wenn ich das Bezahlen mal wieder ver­gessen habe, soll ja vorkommen. Wenn ich noch mehr kau­fen soll, muss ich na­türlich noch mehr Rechnungen bezahlen, bin­nen oder nicht binnen. Am besten wäre es doch, wir machen gleich das ganze Jahr Weih­nachten! Naja, Ostern ist ja schon halb Weih­nachten, und dann noch was für die Herzaller­liebste am Valentinstag, und am Mutter­tag, so­wieso, notfalls auch am Väter- und Kinder­tag, und wenn sonst nix ist, hat bestimmt schon wieder je­mand Geburtstag oder Jubiläum oder was nicht. Und von wegen, Liebe kann man nicht kau­fen! Blödsinn, Gehirnwäsche, Propa­ganda. Klar kann man, ist doch logisch: Wer einem mehr wert ist, dem schenkt man auch mehr! Was denn sonst? Als wir frisch verliebt waren, was hat er mir nicht ge­schenkt. Und die Kinder, wenn sie noch klein und niedlich sind, man kann ja gar nicht anders, als ihnen alles kaufen! Aber später bekommt man nichts mehr geschenkt. So ist das Leben. Und was soll man auch den Leuten noch schenken? Haben doch schon alles, und dann noch ein bisschen mehr. Unnützes Zeug, das meiste. Aber gut, die Bin­nennachfrage. Schenken wir halt noch mehr unnützes Zeug, wenn es der Industrie und dem Land hilft, jawoll!  (... und weiter ....)  

 

Dumm gelaufen 

Jetzt ist die blöde Karre kaputt, und ich muss doch noch Max vom Fußball abholen! Warum kann ereigentlich nicht mal zu Fuß gehen, beim Fußball laufen sie doch auch, oder? Das gleiche mit Ronja, beim Ballett kann sie hüpfen wie ein Weltmeister, aber wehe, sie soll mal zur Schule laufen! Und von wegen Ballett! Ist ja auch alles nur, damit sie ein Tutu kriegt und als Supermodel später nicht stol­pert auf demCatwalk! Können doch nicht alle Su­permodel werden, aber nein, geht nicht rein in den Kopf, da hilft alles Geföhne mit Haargel nix. Könnte zur Abwechslung ja mal was Ordentliches ler­nen, Bank oder Büro oder so. Oder Briefträger, die müssen auch viel zu Fuß gehen, gibt es ei­gent­lich auch Briefträgerinnen? Sind wahr­scheinlich inzwischen mobile Kommunikati­onsmanager mit der Lizenz zumStempeln, aber total fit! Für die brauchen wir die Bürger­steige noch, sonst könnten wir sie auch dem­nächst einreißen, geht sowieso keiner mehr zu Fuß, gibt gleich mehr Platz für Parkstreifen und Tiefgaragen. Oder Rolltreppen, ganz lange, so wie auf dem Flughafen, gibt's in grö­ßeren Outlet-Centern ja jetzt schon, das Ge­renne mit all den Tüten ist auch wirklich zu blöd. Wenn das mit den High Heels so weiter geht, kann so­wieso bald keine Frau mehr lau­fen, wozu auch? Entweder man fährt ins Out­let, oder geshoppt wird von zuhause, von Amazon bis Zalando, in Pu­schen. Nee, kleiner Scherz, shoppen geht immer, klar, bis die Ze­hen bluten und wir auf dem Zahn­fleisch ge­hen!  (... und weiter ...)  

 

Aber bitte mit Schoki!  

Jetzt ist schon wieder die Truhe leer, warum hat eigentlich wieder keiner eingekauft? Tief­kühl-Pizza ist alle, keine Tiefkühl-Pommes, noch nicht mal mehr Eiscreme, nur Erbsen, von wann sind die ei­gentlich? Mehr Eisklumpen als Grün dran. Und was ist in diesen komischen blauen Beuteln? Hun­dert Jahre liegen die da schon, prähistorisch wahr­scheinlich. Sollte man ja eigentlich Schilder drauf machen, Inhalt und Haltbarkeit und so, lol! Als hätte man sonst nichts zu tun. Gucken wir halt in den Kühlschrank, da wird doch noch was da sein. Brot ist wieder schimmelig, isst ja sowieso keiner mehr, die Kiddies sowieso nicht, höchstens Papp-Sand­wiches oder Toastbrot ohne Rinde, irgend­wann werden die Menschen keine Zähne mehr haben und keiner weiß mehr, was mit Abend­brot gemeint war, heißt das nicht Abendrot, Wangenrot oder so ähnlich? Und mor­gens, wenn überhaupt, was mit Schoki, mit Nutella geht ja alles – nee, Nutella ist auch alle, Him­mel nein, passt denn gar keiner auf in diesem Haus­halt? – sogar Brot geht notfalls mit Nutella. Früher gab's ja auch noch Pausenbrot, ja, ehrlich, Brot, kann man es fassen? Natürlich, gegessen hat es keiner, und auch all die Tricks mit Gurkenkringeln und handgeschnitzten Möhrengesichtern, voller Blödsinn, sie haben's trotzdem weggeworfen, oder, schlimmer noch! wieder mit heimgebracht, hat die Hefte und Schulbücher auch nicht schöner ge­macht, wenn es dann alles so zusammenpappt mit ranziger Butter…  (... und weiter ...)   

Voll orientiert 

So, jetzt aber schnell, in zehn Minuten muss ich am Kino sein, Martin wartet bestimmt schon, ist immer so superpünktlich, das nervt! Sollte ja eigentlich wissen, wo das ist, so oft wie wir schon da waren, aber googeln wir's sicher­heitshalber lieber. Da ha­ben wir's schon, ge­nau, Adresse schnell ins Navi, zehn Minuten nur, na also, ist ja eigentlich gleich um die Ecke. Klar, Berufsverkehr und so, kann das Navi ja nicht wissen, was weiß so ein Navi schon, auch wenn es immer so altklug daher schwätzt. Und wie die Leute wieder fahren heute! Wie sie denken, und noch nicht mal das können sie. Wahr­scheinlich alle am Verhun­gern, ich übrigens auch, fällt mir gerade auf. Vielleicht sollte ich eben auf einen Happen zu MacDonalds, sonst futtere ich im Kino wieder bergeweise Popcorn, oder, noch schlimmer: Nachos! Erfindung des Teufels, macht süchtig, das Zeug, und krümelt und knirscht beim Es­sen und macht Soßenflecken und nervt dieNachbarn, und dann erst auf der Waage! Kata­stro­phe, ich mag gar nicht dran denken!

Wo ist denn jetzt der nächste MacDonalds? Ach guck, ganz kleiner Umweg nur, eben rechts und links und – nee! Schon wieder eine Umleitung! Was bauen die eigentlich die ganze Zeit, mit unseren sauer verdienten Steuergel­dern? Straßensperren wahrscheinlich, sonst nix. Wo kriegt man hier bloß was zu essen? Mal schnell auf die App gucken, nee, oder? 13 Restaurants, 15 Cafés und 7 Bars, alle in der näheren Umgebung, wie soll man sich denn da entscheiden? Klar, Preisvergleich, Kundenbe­wer­tung, wer hat laktosefreie Milch und wo gibt's freies WLAN und 17 verschiedene Salat­dressings, eines gesünder als das andere, aber keiner sagt mir, was ich essen soll!Typisch. Muss ja auch schnell gehen. Huch, sind ja nur noch fünf Minuten bis Filmbeginn, na egal, der Film läuft heute Abend noch dreimal, schicken wir Martin schnell eine SMS, so! (... und weiter ...) 


Bedudelt  

Huch, das ist ja auf einmal so still! Wie spät ist es eigentlich? Jetzt hatte ich doch gerade so ei­nen tol­len Traum, und gerade als ich --- nee, das ist ja un­heimlich! Man hört ja gar nix! Drei Minuten nach drei, sagt der Wecker, Gott, tickt der laut! Kein Auto, gar nix, noch nicht einmal ein Piepmatz! Ist das mein Herz, das da so pumpert? War wohl doch zu aufregend, der Traum, und gerade als er --- na, jetzt fängt we­nigstens Martin an zu schnarchen, ist ja gera­dezu beruhigend. Aber typisch, der pennt, bei all der Stille, könnte genauso gut die Welt un­tergehen, und er würde immer noch pennen. Schlaf des Unschuldigen, von wegen! Wer ist heute schon noch --- was war das jetzt? Hat da was geknarrt? Kommt da jemand? Nee, jetzt krieg ich auch noch Verfolgungswahn! Wieder zu viele Krimis geguckt vor dem Schlafenge­hen, obwohl, der Tatort war ja sowas von lahm, wenn der niedliche Kommissar nicht wäre, werden ja heute alle nach Schönheit aus­gewählt, die Hübschen kommen ins Fernsehen, und die anderen zur Polizei --- doch, es knarrt. De­finitiv. Gibt doch gar nix zu klauen hier, was reg' ich mich eigentlich auf, sieben Smart­phones hat doch jeder selbst heutzutage, Sozi­alhilfeempfänger haben größere HD-Bild­schirme als kleine Pro­grammkinos, also was soll's? Nix zu holen hier, hallo! (... und weiter...)  

 

 Alles im Kasten 

Ach, ist es nicht schön, so kühl in der Kirche, und so groß alles! Wurde Zeit, dass wir mal rauskom­men aus dem Hotel, man kann ja nicht den ganzen Tag am Strand liegen, und dann ab zum Buffet, und dann an den Pool, und dann wieder Buffet, und dann zur Abwechslung ein bisschen Wellness, und dann wieder --- nee, man will ja auch mal was sehen, oder? Kultur und so! Schnuckeliger Führer hier, echtes Sah­nestückchen, südländischer Typ, darf man den eigentlich fotografieren, wie er ge­rade so deko­rativ vor dieser Madonna steht? Das Baby grinst ja ziemlich dämlich, waren meine niedli­cher, auf den Fotos jedenfalls, und so'n gro­ßen Kopf hat es, ob das gesund ist? Nee, ist ja Christus, pietätlos! Also, schnell ein Foto aus der Hüfte, haaach, diese Südländer, so elegant, und wie er sich bewegt und --- huch,jetzt guckt er her, ach so, man darf hier gar nicht fotografieren? Ja, wo gibt's denn sowas? Sind das Eingeborene, denken, wir nehmen ihnen ihre Seele weg oder so ein Quatsch? Dann wä­ren wir ja schon alle sowas von in der Hölle, ich kann's gar nicht sagen! Nee, im Ge­genteil: So ein Foto beweist doch erst, dass man eine Seele hat, je mehr Fotos, desto mehr Seele ge­radezu, jawoll! Ich wüsste gar nicht mehr, ob ich da bin, so ganz ohne mein tägli­ches Selfie! Posing ge­hört schließlich zur Grundausbildung heute, wer­den sie bald in der Schule unterrichten, jedenfalls für die Mä­dels, bevor sie lesen können – ach was, bevor sie laufen können, können sie den Kopf schieflegen, Schmollmund und die Hüfte raus­stre­cken. Sind ja auch niedlich, und wenn nicht, richtet es der Schönheitschirurg schon! Fängt im Kinder­garten an, fotografieren in der Matschkiste und beim Stuhlkreis, und dann in der Schule, wenn erst die Klassenfahrten und Projekttage und Theater­aufführungen kom­men und was nicht alles, und im Sportverein sowieso, und Konfirmation erst! Tanz­schule!! Ich sag nur. Die reinen Fotoorgien, jedes Mal eine dicke CD hinterher, wer soll das eigentlich alle angucken? Egal, kommt in die Kiste, für später mal, wenn sie nicht mehr so niedlich sind, so wie wir heute, da geht sowieso kein Weg dran vorbei, Weg alles Irdischen und so, da hilft kein Posing mehr, und irgendwann auch nicht mehr der aller­beste Schönheitschi­rurg!  (... und weiter...) 

 

Korrekt gedacht

Jetzt hat Max doch schon wieder einen neuen Po­lenwitz aus der Schule mitgebracht, ist ja peinlich, aber, seien wir ehrlich, sie sind wirk­lich zum Schreien komisch! Na gut, früher hatten wir schließlich auch  Ostfriesenwitze, zum Glück hat keiner einen gekannt, man kennt ja auch keine Po­len, sonst müsste man sich doch schämen. Oder Blondinenwitze, Gott, waren die nicht wirklich klasse? Endlich hatte man als Frau mal einen Vor­teil davon, nicht dämlich-strohblond zu sein! Weiß aber keinen mehr, und den Polenwitz habe ich auch schon wieder vergessen, Alzheimer lässt grü­ßen! Oder, ganz früher, fällt mir gerade ein, da hatten wir Häschenwitze, hattu Möhren, und alle haben sich gekringelt, siehste, ich weiß doch noch was! War natürlich politisch völlig unkritisch, zum Glück, heute würden sich so­gar die Hasen über ha­senfeindliche Witze be­schweren, aber hallo, sowas von unsensibel gegenüber unseren tierischen lang­ohrigen Mit­geschöpfen! Nee, heute muss man echt aufpas­sen, was man sagt, von morgens bis abends, und irgendwann träumen wir dann auch poli­tisch korrekt. Neger, sag ich nur, ich weiß im­mer noch nicht, wie man nun gerade richtig sagt, ändert sich ja auch laufend, sind das nun Schwarze oder Far­bige oder – nee, das war doch wieder so ein Witz von Max! – Maximal-Pigmentierte? Googeln wir schnell, man weiß ja nie, wann man's braucht – aha, also Afro­amerikaner oder Afrodeutsche oder Afro-was-auch-immer. Gab ja auch mal ne Cola, die so ähnlich hieß, gute Eselsbrücke, und Cola ist nun definitiv völkerverbindend! Weiß eigent­lich garnicht, was an schwarz falsch sein soll, weiß zu sein ist doch definitiv nicht schöner, "weiße Frau" klingt entweder nach Gespenst oder nach Uroma. Und Chinesen sind ja so­wieso gar nicht richtig gelb, und Indianer nicht richtig rot, da könnte man sich doch freuen über eine kräftige Farbe! Andere Leute tra­gen all ihre sauer verdienten Mäuse ins Solarium und werden erst rot und dann dunkelbraun und sterben am Ende an schwarzem Hautkrebs! Blödheit ist sowieso universal, Farbe hin oder her. (... und weiter ...) 

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AUFGELESEN


Mal wieder voll hier, wie jeden Morgen, dicke Luft, und alle gucken nach unten auf irgendeinen viereckigen blinkernden Kasten, keiner bietet einem einen Platz an, hallo, können Sie da vielleicht Ihre Füße wegnehmen? Danke, jetzt kannst du auch weiter in dein Handy glotzen und daddeln, bitteschön. Gott, das Gepiepse nervt, vor allem, weil ich mein Handy vergessen hab', sonst würd' ich doch auch, halbe Stunde bis Stuttgart, wie halt ich das bloß aus? Wenn nicht wieder Baustelle ist irgendwo, oder Triebwagen kaputt, oder Selbstmörder, arme Kerle, aber warum immer auf meiner Strecke? Oder, lieben wir alle am meisten: "Störungen im Betriebsablauf!" Klar, danke schön, es läuft nicht, weil es nicht läuft, total logisch! Ich hab auch immer wieder Störungen im Betriebsablauf da-heim, aber was hilft's, die Wäsche wäscht sich nicht von selbst, auch wenn sie bald in jeden Socken ein Stück Elektronik packen, das anzeigt, wann er zu waschen ist und mit welchem Weichspüler und wo der zweite sich versteckt hat! Der piepst dann, piepsende Socken im Duett! Ungefähr genauso furchtbar wie Handy-Klingeltöne, mal ruft der Imam, mal kräht der Hahn, oder, besonders originell: es klingelt, lol! Oder klassisch, Beethoven, für Bildungssnobs, guckt doch mal wie kultiviert ich bin! Da-da-da-dammm! Soll ja wohl individuell sein oder so. Individuell ist immer gut, vor allem wenn man dran verdienen kann, und jeder Tag ein neuer individueller Klingelton ist billiger als jeden Morgen frische Socken – was das wieder mufft hier!

Lesen ja auch viele, guck mal, manche sogar noch richtige Bücher. Unhandlich irgendwie. Eher die Oldies natürlich, klar, Teenager mit Buch, das wäre ja direkt rufschädigend, ober-ober-uncool, nachher kommt man auf YouTube. Andererseits. Harry Potter ging ja sogar eine Zeitlang, warum eigentlich? Wahrscheinlich wegen Magie und so. Magisch Socken waschen, klar, das wär's: "Persilio!", und schon erledigt! Und außerdem jagen wir den Bösen, der nicht genannt werden darf, war ja vor NSA, sonst hätten die's sowieso gewusst, die ganze Geheimnistuerei für die Katz. Aber wer weiß, vielleicht ist überhaupt NSA nur ein Tarnname für Voldemort – huch, jetzt hab ich's ja doch gesagt! - und seine – wie hießen die noch? – irgendwie wie dement, ach ja, Dementoren. Nee, dement sind die ja nicht direkt bei der NSA, vergessen tun die gar nix, aber verstehen – nun gut. Anderes Thema. Edward Snowden ist auch nicht direkt Harry Potter, obwohl die Brille – ein bisschen schon. Aber weniger Freunde, leider. Und disapparieren kann er auch nicht, der Arme.

War ja auch ein bisschen wie Krimi, und Krimi lesen sowieso alle, sogar ich, im Urlaub, jedenfalls manchmal. Je braver die Bürger, desto wilder die Krimis, könnte man denken, was da weggemetzelt wird, und ohne einen ordentlichen Psychopathen und Serienmörder geht gar nix! Aber irgendwie ist es ja doch schön, man ist zwar umgeben von Schwerverbrechern, aber am Ende siegt das Gute und der dusslige Kommissar hat's wieder gerichtet. Neuerdings ja gern auch Frauen, vor allem in der Gerichtsmedizin, sieht auch gleich viel besser aus, so eine wohlgeformte Blondine im Leichenkittel am Obduktionstisch. Na gut, Frauen sind auch cleverer, weiß sowieso jeder, also jede, jede Frau, meine ich natürlich; die Kerle werden's auch noch blicken, wenn sie sich mal emanzipiert haben und die Sache mit dem Testosteron endlich in den Griff kriegen. Steinzeit, sag ich nur! Reine Energieverschwendung, all das Geprotze und Geziere, und wenn was dabei rauskommen soll, lässt man es doch heimlich lieber eine Frau machen. Was machen wir bloß, wenn Angie nicht mehr regieren will? Partei hin oder her. Mag gar nicht daran denken.

Was liest die Tussi da neben mir eigentlich? Mal spicken. Oh weh, bunter Umschlag, dicker Wälzer, wahrscheinlich so ein Geschichtsschmöker, Medicus und so. Dunkles Mittelalter mit Mönchen, Verschwörungen, Gift, wahrscheinlich war's ganz anders, noch viel mehr ungewaschene Socken und Mundgeruch und eher wenig Magie. Und Liebesgeschichten natürlich, ohne Liebesgeschichten geht gar nicht, noch nicht mal Harry Potter, und was war das mühsam, bis sie endlich alt ge-nug waren wenigstens für ein bisschen Knutschen! Aber schließlich: Liebesgeschichten sind auch große Literatur, oder? Romeo und Julia und so, nicht dass ich es gelesen hätte, aber das kriegt man ja so mit. Vom Winde verweht, gab's das eigentlich auch als Buch? Und Gott, wie hieß denn das Ding, das wir in der Schule gelesen haben, diese komischen kleinen gelben Hefte? So ähnlich wie diese klebrigen Karamellbonbons, so hat es sich auch gelesen, wollte und wollte nicht aufhören und man wurde ganz klebrig im Kopf davon – jawoll: "Werther". Werthers Leiden, nicht Werthers Kaubonbons. Von Goethe, jawoll! Und weil er die liebe Lotte nicht gekriegt hat, weil sie doch schon einen anderen hatte nämlich, hat er sich erschossen, der gute Werther. Typisch Mann, einfach zu sentimental. Klar, man denkt, man stirbt, zumindest beim ersten Mal, aber man tut es doch nicht! Ist doch alles nur Show! Lotte hat sich ja auch nicht einfach gekillt, und wahrscheinlich wäscht sie heute noch die Socken für ihren Langweiler!

Hatte noch nicht mal Sexszenen, Shades of Grey oder so. Na gut, ist auch im Internet leichter heutzutage, da braucht man ja nicht viel Phantasie, und ich will gar nicht wissen, was sie auf ihren Handys alles angucken auf dem Schulhof. Lesen tun sie sowieso nicht, schon gar nicht Goethe, und wenn sie was lesen sollen für die Schule: schnell den Wikipedia-Artikel reinziehen, wenn man Glück hat, ist's ein guter, und schon ist man mindestens so schlau wie ein schlechter Deutschlehrer, und wann hat man schon mal einen guten? Eben. Aber eigentlich lesen sie auch in der Schule nicht mehr, noch nicht mal mehr Schulbücher, haben eh zu viel Fehler, neulich sogar das Mathebuch! Man glaubt es nicht. Gibt ja nur noch Kopien und Powerpoint, was nicht auf eine Din-A4-Seite oder in eine fünfminütige Präsentation passt, will eh keiner wissen und kann sich keiner merken, hat man doch schon wieder weitergezappt, oder? Man schafft es doch kaum noch beim Fußball über zweimal 45 Minuten, wenn nicht ordentlich was los ist auf dem Platz oder im Stadion, und heimlich ist man dankbar für die Werbepause! Und da soll man 100 Seiten lesen? Oder mehr noch?

Überhaupt, großer Fehler von Büchern: zu wenig Bilder. Man muss sich alles im Kopf ausmalen – und dann gibt's wieder endlose Landschaftsbeschreibungen, will doch keiner wissen, wäre doch viel schneller erledigt mit einem Foto! Werther, kurz nach dem Selbstmord, igittigitt. Andererseits. Hatte mir Harry Potter ja immer größer vorgestellt, vor den Filmen. Und Voldemort furchtbarer, irgendwie. Und in jedem Film sieht Hogwarts anders aus, weil jeder Regisseur sein eigenes mitbringt, wie im Kindergarten, nee, ich kann aber nur mit meiner eigenen Ritterburg spielen, und von Playmobil muss sie sein! Nee, vielleicht doch lieber Phantasie. Mein Hogwarts hatte auch tollere Treppen, und die Trolle waren --- Nee, was denn nun wieder! Warum stehen wir denn schon wieder rum? Störung im Betriebsablauf, ich hab's doch geahnt, heute ist so ein Tag, mein Betriebsablauf ist auch gestört, ich wollte in Angry Birds Schweine abknallen oder wenigstens noch mal bei Facebook schauen vor der Arbeit, und nix! Sitze hier zwischen mittelalterlichen Weibern und daddelnden Männern! Nee, stimmt gar nicht, sind auch ein paar Kerle mit Büchern. eBook-Reader, die meisten natürlich, ist ja ir-gendwie gleich cooler, und vielleicht kann man doch zwischendurch eine Runde surfen, wenn's keiner sieht, und alle denken, man liest was. Was Anspruchsvolles gar. Hat ja was, hab auch schon überlegt, so ein Kindle passt locker in die Handtasche, man könnte ein schniekes Cover kaufen, und man sähe irgendwie gebildeter aus! Weiß ja keiner, was ich dann für ein Schund drauflade, Shades of grey, Harry Potter, die siebzehnte, oder Werthers Liebesleben, egal! Und man kann die Schriftgröße einstellen, brauch ich die blöde Lesebrille nicht. Na gut, Plakatgröße mindestens. Und Brille macht ja auch gebildet, vor allem, wenn das Model sie trägt, mich macht sie nur alt!

Hach, früher. Brauchte man keine Brille, hatte keine eBook-Reader, und manchmal hab ich ja sogar gelesen, kann man ja zugeben heute. Man hatte ja viel mehr Zeit. Keine Socken waschen, danke, Mami! – nee, sagen meine ja auch nicht, wissen gar nicht wie gut sie es haben, und wenn man es ihnen sagt: Echt uncool, Mama! Nee, kein Facebook und kein nerviger Weg zur Arbeit mit ewiger Störung im Betriebsablauf. Kennt man nicht, wenn man jung ist, da läuft alles von allein. Logo. Gelesen hab ich natürlich Liebesgeschichten, Mädelbücher halt, und garantiert nicht das, was wir in der Schule lesen sollten, und das waren noch ganze Bücher! Obwohl, einmal haben wir so einen alten Roman gelesen, von wegen Liebesgeschichte, das war gar nicht so schlecht, wie hieß die Tussi nur? Effi. Effi Briest, dass ich das noch weiß! Ist aber auch ein komischer Name, klingt gar nicht so uncool, kurz und zickig, mit Effi könnte man glatt was werden bei Germans Next Topmodel, hallo Heidi, ich bin die Effi, und ich bin soooo happy, dass ich dabei sein darf! Wie ging die Geschichte bloß? Irgendwie sollte sie auch den falschen Mann heiraten, wie bei Werther, was denn sonst, wer heiratet schon den richtigen Mann? Gibt's nicht mal im Roman, und die sind ausgedacht! War so ein Langweiler, hieß schon ganz langweilig, aber daran kann ich mich jetzt echt nicht mehr erinnern. Und brachte sie auf ein oberlangweiliges Dorf, ganz weit weg von zuhause, wo es nur Chinesen und einen komischen alten Apotheker gab – und das alles ohne Facebook! Nix Whatsapp! Kein Internet weit und breit, noch nicht mal schneckenlangsames! Funkloch hoch dreizehn!

Arme Effi. War mir damals gar nicht klar, wie furchtbar das gewesen sein muss. Also, Effi in der Provinz mit Chinesen und Apotheker, uralt, und dann kommt natürlich – der Verführer, na logisch! Aber keine Sexszenen, nee, das wüsste ich noch, aber irgendwie haben sie's getrieben, in den Dünen oder so - wo war das Dorf nur? war wahrscheinlich Land¬schaftsbeschreibung, und der blöde Ehemann hat noch nicht mal was gemerkt. Aber irgendwann haben sie sich dann doch irgendwie geschossen, keine Ahnung, Einzelheiten hab' ich vergessen, und dann – das war ganz gemein! – hat er ihr das Kind weggenommen, und am Ende war sie tot. Effi, nicht das Kind. Nee, ging nicht gut aus. Neulich haben sie's verfilmt, jetzt fällt es mir ein, ob sie dann wenigstens ein Happy End gemacht haben? Dann würd ich's vielleicht sogar anschauen.

Endlich weiter, Gottseidank. Juckt ja in den Fingern, wenn ich die anderen so spielen sehe, der Kerl mir gegenüber stellt sich derart ungeschickt an mit seinen Autorennen, dem möchte ich echt nicht auf der Straße begegnen! Hat schon einen ganz irren Blick. Sieht ja immer bisschen debil aus, das Gedaddel, so von außen be-trachtet, ganz starr, kein Mensch will sich so im Spiegel sehen, ist ja peinlich! Man könnte ja auch einfach mal aus dem Fenster schauen, ich schau ganz ruhig so vor mich hin, und nichts zu denken war mein Sinn - wo kommt denn das nun her? Nee, ist ja schon wieder Tunnel. Und wenn kein Tunnel ist, ist Vorstadt, da sieht man mal, wo man echt nicht leben möchte. Und wenn nicht Vorstadt ist, ist Wald und Hügel ohne Ende, und Wald und Hügel ist ja so ätzend langweilig, ich kann's gar nicht sagen, vor allem ohne Blätter. Ab und zu, immerhin, kleine Naturkatastrophe, Überschwemmung oder abgeknickte Bäume oder so, immerhin, man ist ja dankbar. Aber sonst? Kann ich ja gleich eine Landschaftsbeschreibung lesen im Buch, da kann man wenigstens drüber weg blättern.

Oder Leute anschauen, wie sie eindösen über ihrem dann doch nicht ganz so heißen Mittelalter-Liebesschmöker, der Kopf hängt dann immer so komisch zur Seite und man zuckt. Reden tun ja die wenigsten miteinander, zum Glück! Reicht ja, wenn man ihnen beim Telefonieren zuhören muss, ja Schatzi, ich bin jetzt im Zug, Störung im Betriebsablauf, du weißt ja, wie es ist, ich ruf in fünf Minu¬ten noch mal an, ob es weitergeht, Bussi! Und in fünf Minuten noch Mal exakt das gleiche. Puuh, Leute! Kann man ja keine ordentlichen Bücher schreiben mehr über so was, echt minderwertiges Material. Da hilft auch keine Magie, und statt sich selbst erschießt man lieber die unglücklichen Schweine, peng-peng!

Apropos, jetzt weiß ich's wieder, Effi ist dann am Ende wieder nach Hause gekommen, zu ihren Eltern und in den Garten, wo sie immer so gern geschaukelt hat. Komisch, ich weiß sogar noch, wie der Garten aussah, im Kopf, mein' ich, irgendwo gab es eine Sonnenuhr, und viele Blumen, und sie hatten einen Hund, was war ich neidisch! und Effi hat mit ihrer BFF Kirschen gepflückt – oder waren es Himbeeren? – egal, wichtig war vor allem die Schaukel. Gibt es überhaupt noch Spielplätze mit Schaukeln? Sind ja heutzutage entweder ein Kletterpark mit angeschlossener Latte-Macchiato-Bar oder Müllplätze für Junkies. Aber zuhause hatten wir noch eine Schaukel im Garten, und wir haben immer gewettet, wer am höchsten schaukeln und am weitesten abspringen konnte. Klar, man konnte sich dabei auch das Bein brechen, aber war die Sache wert, und wir waren ja auch nicht vollzeitüberwacht und rund-um-die-Uhr-versichert wie die Kiddies heutzutage. Blumen gab's auch, so gelbe, von denen man die Blütenblätter einzeln abzupfen konnte, hat Oma immer geärgert. Und natürlich Erdbeeren, die ersten Erdbeeren, ganz ungewaschen!

Heute gibt's ja kaum noch Erdbeeren in den Gärten, nur noch geharkte Steinbeete oder ökologisch befreites Unkraut; oder Rasenbrache, grün, pflegeleicht, langweilig. Wie bei uns. Klar, Sockenwaschen und Facebook und Erwachsenwerden und so, geht mir ja auch so, und wenn Martin nicht den Rasen mähen würde, wenigstens!, ich mag gar nicht daran denken. Und Effi ist dann ja auch erwachsen geworden und gestorben, Blumen und Lieblingshund und Schaukel hin oder her. War halt doch nur ein altes Buch mit zu vielen Seiten und zu wenig Bildern. Vielleicht gibt's ja eine Kurzfassung für den Kindle, mit Bildern vom Chinesen und vom Hund und wenigstens einem klitzekleinen Blick hinter die Dünen. Na endlich sind wir da! Hee, Sie haben Ihr Buch vergessen! Schon weg. Da liegt es nun. Armes Buch. Ich könnte ja ---- nee, lieber nicht. Nachher fängt man an, und dann kann man nicht mehr aufhören.


ICH HAB' EIN GEHEIMNIS
Jetzt hat der unverschämte Kerl mich doch wirklich nach meinem Gewicht gefragt, ist es denn zu glauben! Fadenscheiniger Vorwand natürlich: wegen dieses neuen Charity-Events gegen Fettleibigkeit angeblich – jedes Kilo, das wir abnehmen, wird in Euro umgerechnet, die Firmenleitung gibt für jedes Kilo noch einen drauf, und irgendwo freuen sich kranke Erdhörnchen oder misshandelte Meerschweinchen! Nee, geht gar nicht, auch nicht für einen guten Zweck, gute Zwecke stehen sowieso an jeder Straßenecke, man weiß gar nicht, wo anfangen und aufhören, irgendwo ist immer gerade Katastrophe und Weltuntergang. Könnte er ja auch gleich fragen, was ich verdiene. Zu wenig natürlich, das ist schon mal klar; aber immer noch mehr als er, wozu sitze ich eigentlich in der Buchhaltung, häh? Schade eigentlich, dass das Gewicht nicht in der Personalakte steht. Oder wie man wählt, von wegen Wahlgeheimnis und so, lol, na was schon, nicht gewählt hab ich, wie wahrscheinlich mindestens die Hälfte der anderen auch. Was soll man schon wählen heutzutage, ist doch einer wie die andere, und am Sonntag hat man doch meistens was Besseres vor - zum Beispiel im Bett bleiben, bisschen relaxen muss ja auch sein, bei all dem Stress an der Arbeit, und dann soll man noch abnehmen für einen guten Zweck! Aber gut, das erzählt man auch besser nicht, Nichtwählen ist ja nicht so schick wie Protestwählen, eher bildungsferne Schichten und so. Als ob!
Also tun wir besser so, als hätten wir geheim gewählt, weil es sich so gehört in einer Demokratie, jawoll! Geht schließlich wirklich keinen was an, was ich wiege-wähle-weiß, oder ob ich Rumpelstilzchen heiß'! Oder was ich glaube - naja, wenn man noch glauben würde, also mal theoretisch gesagt; aber da gehe ich schon viel länger nicht mehr hin am Sonntag. Ist ja auch echt ätzend, das frühe Aufstehen, nur damit man sich uralte Geschichten anhört und über den noch älteren Pfarrer ärgert und dabei die Füße abfriert in den guten Pumps; noch nicht mal shoppen kann man da, außer es ist wieder Basar, und man kann gehäkelte Klorollen kaufen für einen guten Zweck, hallo Meerschweinchen! Klar, als wir noch hingehen mussten, damals, vor der Erstkommunion, das war noch was anderes. Und was tut man nicht alles für das schöne weiße Kleidchen und die Moneten! Und dann beim Beichten, Gott, was haben wir uns nicht alles ausgedacht! Ich habe gesündigt in Worten und Taten, da kommen einem doch erst die verwerflichsten Ideen, selbst wenn man ansonsten völlig phantasielos ist! Na gut, wirklich gesündigt hatte keiner von uns so recht, dazu waren wir eh viel zu jung; die eine oder andere Notlüge, mal was gemopst, nicht auf die Eltern gehört, der blöden Kuh von nebenan ein Bein gestellt, so dass sie hingeknallt ist und sich den Knöchel verstaucht hat, autsch! – aber ist doch alles keine ordentliche Sünde, machen doch alle, das wird doch geradezu erwartet von einem ordentlichen Kind, und wenn man ausnahmsweise mal brav war, das musste man geheim halten! Nee, war alles die Geheimnistuerei echt nicht wert. Andererseits. Wie wir heute wissen, war das größte Geheimnis der Pastoren ihre Neigung zum Kindsmissbrauch. Das hält man schon besser geheim! Hat auch nix genützt.

Na, und das geheime Tagebuch damals natürlich. Hat ja auch dazugehört. Musste versteckt werden, hatte sogar ein kleines Schloss, wenn ich mich recht erinnere, und was war das für eine Katastrophe, als der blöde Bruder den Schlüssel verschluckt hatte! - na gut, vielleicht hatte ich ihn in die Limo getan, kleine Sünde, echt, kaum beichtenswert. Und war doch auch mehr ausgedacht als irgendwas, zum Angeben für die Anderen. Reingeschrieben hab ich rein gar nix, vielleicht ein paar Mal meinen Namen, mal mit der linken Hand, mal von hinten nach vorn, was man so tut, wenn einem echt nichts einfällt. Hätte wenigstens die Geschichte mit dem verschluckten Schlüssel reinschreiben sollen, aber schreiben ist ja auch irgendwie mühsam, so mit der Hand, könnte ich heute gar nicht mehr, schreibe ja sogar meine Einkaufszettel auf dem iPad, kann auch jeder sehen! Und einmal, jetzt fällt es mir wieder ein, haben wir auch so einen Geheimbund gegründet, mit geheimen Treffen, geheimen Namen, geheimen Zeichen und Brimborium, wie hieß der nur? War natürlich alles Blöd-sinn, hatte irgendjemand in einem Roman gelesen oder so. Aber war klasse, weil wir damit Petra und Ursula - und Sibylle erst, die Zicke! - so gut nerven konnten: Nee, wir können heute nicht kommen, wir haben eine Geheimbund-Sitzung! Nee, ist irre geheim und total wichtig, können wir gar nicht sagen! Wie hießen wir denn nur noch? Alles vergisst man, sogar seine Geheimnisse.

Jetzt klingelt das blöde Telefon, ist ja, als wäre man an der Arbeit! Steht doch an der Tür und im Internet und überall, Sprechstunden sind von 10 bis 12 außer Freitags, aber nein! Natürlich, Nummer unterdrückt, blöde Geheimnistuerei, wahrscheinlich eine Umfrage oder irgendeine arme Sau aus dem Callcenter. Das könnte man ja nun wirklich niemand erzählen, wenn man da arbeiten müsste, tagaus, tagein unschuldige Leute nerven mit Dingen, die keiner brauchen kann. Oder Telefonsex! Wüsste ja gern, wer da so alles anruft. Aber um Sex wird das größte Geheimnis gemacht, wirklich lächerlich – dabei kann doch heutzutage wirklich jeder alles sehen, ob er will oder nicht, zu jeder Zeit, auf jede Art, mit jedem und im Kreis und noch mal von vorn und wegen mir auch von hinten! Nee, geradezu oberlangweilig ist das geworden, und wenn immer noch jemand geoutet wird, lol!, hat man es doch sowieso schon geahnt, auch wenn dann alle wirklich so tun, als wären sie Rumpelstilzchen und müssten sich in der Luft zerreißen, nur weil wir jetzt wissen, mit wem sie es treiben!

Zum Glück hat das blöde Geklingel jetzt aufgehört, nervt ja beim Nachdenken, vom Arbeiten gar nicht zu reden! Jetzt muss ich mich schon wieder neu einloggen, dämlicher Computer, was war noch das neue Passwort? Würde ja auch lieber "123456" nehmen, wie die meisten, aber ist verboten. Also muss man so was Tolles machen wie "13hasenjagen"? oder "777lotto"! Kann sich kein Mensch merken, die meisten schreiben's auf ein Postit am Telefon oder hinten in den Kalender. Als gäb es irgendein Geheimnis hier zu schützen; weiß doch jeder, was der andere macht, mit wem er es treibt – na gut, vielleicht nicht, was er wiegt und verdient, aber selbst da wäre ich mir nicht immer sicher. Kaum hat man es der BFF verraten, weiß es der ganze Schuppen. War früher so, und ist heute immer noch so, manche Dinge ändern sich nie, ganz ehrlich! Kommt man aber auch erst später drauf. Genauso wie mit der großen Liebe! Gott, was war man damals verliebt, Ewigkeit und so, und keinem konnte man es erzählen, war ja viel aufregender so, und wenn man den Namen auf die beschlagene Scheibe im Schulbus geschrieben hat und schnell wieder weggewischt, war das schon kaum auszuhalten. Und was ist er heute für ein Langweiler! Nicht auszudenken, wenn damals was draus geworden wäre! Nee, schon besser, dass ich es keinem erzählt habe, noch nicht mal dem supergeheimen Tagebuch, aber ich glaube, da war der Schlüssel schon verschluckt…

Heutzutage wäre es sowieso egal, wahrscheinlich fotografiert die NSA auch beschlagene Busscheiben und sammelt sie in einer riesigen Fotodatenbank in der Wüste, so geheim, dass noch nicht mal die Erdhörnchen davon wissen! Aber was soll's, wir machen ja selbst das gleiche, und nur gut, dass von den ganzen Handy-Schnappschüssen keine Papierabzüge gemacht werden, wir würden in Selfie-Müllbergen ersticken! Ein echtes Entsorgungsproblem wäre das! Und die meisten sehen ja nicht direkt besser aus im Dreiviertel- bis Vollsuff. Das gleiche mit den Handys. Braucht man doch gar nicht abhören, kriegt man doch alles in voller Lautstärke prä-sentiert, ob man will oder nicht! Die Geschichten, die ich schon gehört hab! Geheimnis ist gar kein Wort dafür. Beziehungskrisen ohne Ende - "und dann hat er gesagt, und dann hab ich gesagt, und das ist doch echt gemein, aber er versteht mich eben nicht, aber er ist doch so süß, vielleicht vergeb' ich ihm ja doch noch einmal, aber nur einmal" – schick ihn zum Teufel, Mädel, würde ich im-mer am liebsten schreien, zu viel Verbotene Liebe, kommt davon, aber nützt ja nix. Oder Krankheiten, von wegen Arztgeheimnis! Nach einem Jahr S-Bahn-Fahren kennt man alle Frauenkrankheiten samt Untersuchungsmethoden und Nebenwirkungen, vor allem die ekligen. Der ganze Psychokram ist auch nicht besser, Tabus waren ja eigentlich eine ganz praktische Angelegenheit, das hat man nun von all der Transparenz, gläserne Psycho-Mülltonnen!

Huch, jetzt habe ich Mist gebaut! Zu spät, blöd, jetzt kann ich die Zahlen nicht mehr korrigieren. Na gut, machen wir halt eine Ausgleichszahlung, guckt eh keiner auf die Gehaltszettel, das einzige was man daran versteht, ist die Zahl am Ende - immer zu wenig, logisch -, und den Rest könnten wir auch auf chinesisch schreiben. Und wenn man wirklich mal was falsch gemacht hat, kann man immer noch ein bisschen mogeln; alle vertuschen, ist doch ein Volkssport, wäre noch besser, wenn man abnehmen würde davon! Was unsere Politiker können, können wir schon längst, und der beste Geheimdienst ist immer noch die liebe Nachbarschaft! Aber Politiker haben natürlich den Trick mit den Staatsgeheimnissen. Need to know, top secret, kennen wir doch alle aus den US-Serien im Fernsehen. Ist aber eigentlich nicht anders als damals im Kindergarten, wenn man sein Schatzkästchen bastelt und ein wichtiges Gesicht macht und flüstert und so tut, als ob. Angeberei, alles; wer Geheimnisse hat, ist wichtig, das lernt man im Kindergarten fürs Leben, und je mehr Geheimnisse, desto wichtiger, ist doch logisch. Also erfindet man welche, wenn es sein muss von morgens bis abends, bis man endlich wichtig genug ist. Nee, ist man eigentlich nie. Darf aber keiner wissen.

Und außerdem gibt es gar keine Geheimnisse mehr, alle Geheimnisse sind gelöst, wozu haben wir schließlich die Wissenschaften und all das, und wenn wir endlich auf dem Mars ankommen, werden wir finden, dass die Marsmännchen genauso aussehen, wie wir sie uns immer schon vorgestellt haben und den ganzen lieben langen Marstag darüber reden, wo es die billigsten Mars-Schokoriegel gibt. Nix Neues unter der Sonne, und auch nicht darüber und dahinter, und wenn doch, steht es morgen in der BILD-Zeitung. Apropos, ich muss doch noch Tina anrufen! Hey, hast du schon von Chantal gehört? Soll ja wirklich schwanger sein, ja, Marie hat es von Claudi gehört, und das, obwohl sich ihr Freund von ihr getrennt hat, und mit dem Arbeitsplatz wird das auch Probleme geben, die sind doch froh über jeden, den sie loswerden! Aber nicht weitererzählen, hörst du?


GELOBT SEI GOOGLE!


Seit Wochen hör ich nur noch Krim, Krim, nix als Krim, was oder wo ist das eigentlich? Krimsekt, das gab's doch früher mal, als die Russen noch die Bösen waren und wir die Guten. Heute verliert man total den Überblick, jetzt soll wieder Putin der Böse sein, aber die Amerikaner sind ja nun auch keine Unschuldslämmer, ich sag nur: Drohnen! Guantanamo!! NSA!!! Nee, ist alles nicht so einfach mit der Politik, und eigentlich geht's dann doch wieder nur um Geld, wenn man genau hinschaut. Deshalb schaut man ja schon nicht mehr. Na gut, aber man muss ja informiert sein, bisschen wenigstens, man kann ja nicht immer nur den Mist weiter erzählen, den man im Fernsehen hört. Früher hätte man noch in ein Lexikon geschaut, Brockhaus und so, dicke Wälzer, im-mer ein bisschen staubig, ich riech es geradezu, und ganz klein gedruckt und wenig Bilder, nee! Natürlich, sah noch nach was aus im Bücherregal, wenn man jetzt den Kindle hinstellt, sieht's ja nicht so prall aus. Andererseits. Der LCD-Fernseher braucht ja auch Platz, und Bücher machen so viel Staub.

Also googeln wir mal ein bisschen, hab eh nichts besseres zu tun: "Krim" – natürlich, gleich als erstes Wikipedia, ist ja immer ein bisschen lang, aber was hilft's, dafür kostet es nix, eigentlich ein Wunder, oder? Ach guck, so ein kleines Zipfelchen ist die Krim nur, da ganz unten, ist ja beinahe eine ganze Insel, keine halbe, hängt kaum dran am Festland! Inseln sind ja schön zum Urlaub machen, Sylt, Mallorca, Malediven! Reif für die Insel, sagt man nicht so? Sind wir zwar alle, aber was meint man eigentlich damit? Haben alle eine Klatsche auf der Insel oder was? Nee, wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich eher Einsamkeit und Erholung und so, jeder ein kleiner Robinson auf seinem Insel-Imperium, kein Stress außer runterplumpsenden Kokosnüssen und schnatternden Affen. Andererseits. Kein WLAN und Handyempfang, Gott, das würde doch nun wirklich keiner aushalten, so ganz mit sich und der Natur alleine!

Wo ist die komische Krim-Halb-oder-Ganz-Insel nun? Schwarzes Meer, soso - was ist das nun wieder? Gibt auch ein Rotes Meer, aber ganz woanders, also klicken wir mal eine Runde weiter. Ein Binnenmeer, das Schwarze Meer, also so ähnlich wie die Ostsee. Haben ja bisschen was langweiliges, so Binnenmeere, ich weiß noch früher im Urlaub mit der Familie, immer irgendwie seicht, keine Ebbe und keine Flut, aber dafür Quallen in rauen Mengen! Na logisch, konnten ja auch nicht raus aus dem Binnenmeer, irgendwann ist die Ostsee ein einziger lauwarmer glibberiger Quallen-Pudding, wo man kleine Kinder zur Strafe hinschickt: Wenn du jetzt nicht endlich deine PlayStation ausschaltest, kommst du in die Ostsee und wirst von den Quallen verschlungen! Igittigitt!

Aber warum ist es eigentlich schwarz, das schwarze Meer? Na also, wird doch gleich erklärt, wie es sich gehört. Entweder wegen irgendwelcher Ablagerungen, lauter Chemiekram, versteh kein Wort, und guck, da steht doch auch gleich noch, warum das Rote Meer rot ist! Wieder was gelernt. Aber natürlich gibt es noch eine andere Erklärung, klar, Experten sind sich nie einig, wenn sie sich einig wären, brauchte man ja bald keine mehr, nee, streiten ist besser und bringt mehr Geld. Gott, ist das kompliziert, echte Expertentheorie! Also, irgendjemand hat sich irgendwann ausgedacht, dass die Himmelsrichtungen Farben haben - leuchtet ein, deshalb gibt es ja auch Modefarben nach den Jahreszeiten, gell? Schwarz ist natürlich Norden, im Norden ist es kalt und dunkel, deshalb wollen wir alle auf die Malediven in die Sonne. Aber das Schwarze Meer ist doch gar nicht im Norden, ist im Süden, da unten, bei Kreta und Zypern und so! Ach so, schlauer Experte, Frage des Standpunktes, schon begriffen! Deshalb müssen diejenigen, die es so genannt haben, selbst weiter im Süden gewohnt haben, ist doch logisch!
Aber wer hat da um Himmels willen gewohnt? Die Skythen, was ist das nun wieder, sprich, kluge Wikipedia? Irgendwelche Reiternomaden, im dunklen Mittelalter, war ja eine ganz schwarze Zeit, schwarze Pest und so, natürlich fanden die Skythen dann auch das Meer im Norden ziemlich schwarz. Wie lebte man wohl damals so, als Reitermonade in dunklen Zeiten? Klar, mit Pferden, das ist schon mal gut, waren aber wahrscheinlich irgendwelche stinkenden Wildpferde und nicht niedliche Ponys mit geflochtenen Zöpfen, und mit denen ist man dann herumgezogen. Klicken wir doch noch mal eins weiter, Reitervölker, so, da sind wir schon – nee! Die haben ihre Pferde auch gegessen, ist ja ekelhaft! Und Kamele und Trampeltiere hatten sie auch – häh, Trampeltiere? Was soll denn das sein? Klar, jeder kennt so ein paar Trampeltiere persönlich, Martin hat ja manchmal auch was davon, aber als Reittier? Ach so, ist eine Art Kamel, nämlich eines mit zwei Höckern, im Unterschied zum Dromedar mit einem Höcker, da schau an, und außerdem vom Aussterben bedroht. Nee, menschliche nicht, kann ich aus Erfahrung sagen. Gibt aber auch kaum noch Reiternomaden, die wollen wahrscheinlich alle lieber mit einem SUV durch die Wüste sausen und nicht auf einem blöden Trampeltier dahinschaukeln und heißen alle Frequent Travellers und haben Miles and More ohne Ende!

Blödsinn, was denk ich wieder, ordentliche Nomaden leben in Zelten, haben wir früher ja auch noch manchmal gemacht, als wir jung waren, im Urlaub. Billig und so, aber war schon ziemlich anstrengend, bis das Ding erst mal aufgebaut war, und entweder war der Boden knochenhart und die Heringe – hießen doch Heringe, diese komischen Haken, oder? Warum eigentlich? Nee, googeln wir jetzt nicht – die Heringe also sind abgeknickt oder gar nicht reingegangen, oder es war ein einziger Matsch und es hat geschüttet und man durfte die Zeltwand nicht berühren und musste stocksteif daliegen, weil das Wasser sonst ins Zelt lief, was es früher oder später dann sowieso getan hat, und wenn erst mal alles nass war – nee, Schluss damit, dann doch lieber Malediven! Andererseits. Gab auch schönes Wetter zwischendurch, und wenn man seine selbstgeklauten Artischocken vom Feld nach einer Stunde erstmal weich hatte im Camping-Kocher, war's schon was Besonderes. Am nächsten Tag hat's dann natürlich wieder geschüttet.

Himmel, wie bin ich jetzt eigentlich von der Krim zum Artischockenkochen gekommen? Mal wieder typisch, man klickt sich so durch und vergisst ganz, was man eigentlich wollte, kurze Aufmerksamkeitsspanne und so, echtes Problem heutzutage, AHDS - oder war es ADHS? -, egal, was man nicht in zwei Minuten kapiert hat, muss man auch wirklich nicht wissen, dafür gibt es schließlich Experten und Wikipedia! Also, zurück zur Krim, immerhin wissen wir jetzt schon, wo sie liegt, warum das Schwarze Meer schwarzes Meer heißt - aber warum hieß das rote jetzt noch mal Rotes? schon vergessen! -, und dass Nomaden Pferde essen und auf Trampeltieren reiten. Nee, kommt ein ganz langer Absatz Geschichte, das ist immer sooo verwirrend! Hab ich schon in der Schule gehasst, und um ehrlich zu sein, war nicht der Lehrer schuld, der war eigentlich ganz knuffig, und auch die Jahreszahlen nicht, damals hatte man ja noch ein Gedächtnis, und Frontalunterricht fanden wir eigentlich alle ganz in Ordnung und auf jeden Fall besser als saublöde Gruppenarbeit. Team, sagt man heute natürlich, und Max hat mir neulich auch erklärt, für was das steht: Toll, ein Anderer machts, genau so isses! Aber wer war dann eigentlich schuld? Muss wohl ich selbst gewesen sein, hihi, damals fand man halt anderes spannender, da helfen die allerbesten Lehrer und die allerschönsten Lehrplanreformen nix, wenn man keine Lust zum Lernen hat. Oder zu faul ist. Oder leicht abgelenkt, AHDS-was-auch-immer. Also reiß dich zusammen, du bist schließlich erwachsen! "Später stand das Gebiet unter römischer, gotischer, sarmatischer, byzantinischer, hunnischer, chasarischer, kyptschakischer" --- hallo, geht's noch? Kyptschakisch? Darauf fall ich jetzt nicht rein, wenn ich da jetzt drauf klicke, lande ich nachher wieder bei ausgestorbenen Tieren!

Schnell mal weiter, Gott, es wird ja nicht direkt übersichtlicher. Irgendwie wollten wohl alle mal diese Insel haben, ein Krieg nach dem anderen, die Menschen werden nicht schlauer, oder? Ach guck, und abgestimmt haben sie auch regelmäßig schon, zu wem sie denn gehören wollten, vielleicht sollten wir das auch mal versuchen? Nee, ist ein bisschen gefährlich, wenn das Volk so abstimmt, manchmal kommt dann das falsche Ergebnis raus, wie neulich in der Schweiz, dabei haben sie eigentlich auch nur darüber abgestimmt, dass die Skythen und Kyptschaken nicht zur Schweiz gehören sollen. Immer das gleiche. Immer noch Geschichte, ist alles viel zu lang, geht das wirklich nicht kürzer? Gucken wir lieber schnell unten, ob es noch ein paar hübsche Bilder gibt - na also, ist ja doch wie Sylt oder Mallorca, na vielleicht nicht direkt Malediven. Versteht man, dass die Leute zum Urlaub hingefahren sind, alles gar nicht so schwarz, wie man denkt, und natürlich war die Schickeria zuerst da, Zar und Hochadel, und haben sie sich nicht ein paar nette Paläste gebaut? Könnte man nicht eigentlich die ganze Insel, auch wenn's nur eine halbe ist, einfach zum Freizeit-Park umbauen? Müssen die reichen Russen nicht mehr so weit fliegen bis ans Mittelmeer, und es könnte eine Show geben, "Die wilden Skythen mit ihren fliegenden Pferden" oder so. Demnächst zerfällt ja sowieso die ganze Welt wahrscheinlich in zwei Teile: Die eine Hälfte macht Urlaub, weil sie sich in versmogten Städten und verschandelten Landschaften zu Tode malocht und nicht weiß wohin mit dem Geld - und bei der anderen Hälfte macht man Urlaub, weil sie die Sonne haben und das Meer und kein Geld und keine Arbeit – außer den anderen dann Drinks am Pool zu reichen und hübsche Schwäne aus Handtüchern zu basteln und Büffets mit aufgehübschten regionalen Spezialitäten zu schmücken, türkischer Halbmond im Linsenbrei, alles schon gehabt! Und nachts gibt es Völkerverständigung, am Strand oder wo auch immer; mit Krimsekt am besten! Es lebe die Globalisierung, hicks!

Eben, Krimsekt, das wollte ich doch auch noch googeln, also: "russischer Champagner", das hätte ich mir nun auch selber denken können, und natürlich haben die Zaren ihn schon gesoffen und es gibt ihn in weiß und in rot, schade, warum eigentlich nicht in schwarz? Na gut, dazu kann man ja russischen Kaviar essen. Aber komisch, Krimsekt muss gar nicht von der Krim kommen, steht hier, da sind die Franzosen ja schlauer gewesen! Kein ordentliches Marketing auf der Krim, da sieht man gleich, da ist noch Entwicklungsbedarf, wenn wir sie gekriegt hätten, wir, die Guten also, hätte als erstes Coca Cola die Marke gekauft und copyright-schützen lassen, da können sie mal sehen, ob Putin das hinkriegt! Und all die schnieken Paläste, hätte man doch wirklich gute Luxushotels von machen können, findet sich schon eine internationale Kette, und zur Begrüßung gibt's einen Krimsekt aufs Zimmer. Kann man sogar bei amazon kaufen, gibt's eigentlich was, was mit nicht bei amazon kaufen kann? Inseln vielleicht, notfalls aber bei eBay: "Suche gebrauchte Insel, ruhig, aber verkehrsgünstig gelegen, mit gutem WLAN- und Handy-Empfang, keine Kriegs- oder sonstige Kollateralschäden, freundliche Eingeborene und keine nervigen Touristen, notfalls auch halb oder im Binnenmeer?" Ach, träum weiter!

Dann vielleicht wenigstens Krimsekt mit Kaviar? Genug Anzeigen gibt's ja bei Google, aber 937 Euro für so ein winziges Döschen? Für salzige Fischeier? Nee, irgendwas ist definitiv falsch mit der Menschheit, die Trampeltiere müssen aussterben, die Krim wird verschachert, aber Fischeier werden mit Gold aufgewogen. Wirklich mit Gold? Schnell mal nach dem Goldpreis schauen; nee, ist glaub ich doch noch teurer. Na gut, Gold ist ja, um ehrlich zu sein, noch nutzloser als Kaviar, kommen noch nicht mal kleine Fische raus und kann man nicht essen. Hat doch irgend so ein skythischer oder was auch immer König schon festgestellt, oder waren es doch die Indianer? Schnell mal googeln, "Gold" und "Essen" – nee! Goldverkauf in Essen, das wollte ich nun wirklich nicht wissen. Aber Gold kann man doch essen, guck da, hat sogar medizinische Anwendungen, siehst du, da würde ohne Google auch keiner drauf kommen! Und natürlich gibt es Currywurst mit Goldauflage und Goldburger und goldüberzogene Pralinen, wahrscheinlich auch vergoldeten Kaviar - na, immerhin fast getroffen, schwarzes Gold wird er genannt, sagt das Internet!

Hat die Krim vielleicht Gold? Noch mal schnell zu Wikipedia, Geschichte wegscrollen, bevor die Kyptschaken einen wieder anspringen, da sind wir schon, "Wirtschaft": Klar, Tourismus, das wussten wir nun schon, Industrie scheint's keine zu geben, wäre ja auch nur im Weg für den Freizeitpark. Aber guck, fun fact! Sie haben doch tatsächlich das teuerste Kernkraftwerk der Welt gebaut, von 1976 und 1989, und dann ist es noch nicht mal fertig gewesen und sie haben es aufgegeben. Vielleicht sollten wir mal ein paar nach Stuttgart schicken?


ICH SHOPPE, ALSO BIN ICH!

Was man nicht alles in der Zeitung liest! Ist ja etwas unhandlich, diese Blatt, aber wenn es schon rumliegt hier in der S-Bahn, und das blöde Handy geht mal wieder nicht, Akku alle, wahrscheinlich sollte ich doch ein neues kaufen. "Deutschland wieder Meister im Exportüberschuss!" Na klar, wir sind doch überall Meister, oder? Wo ist das Problem? Ach so, wir nehmen zu viel Geld ein und geben zu wenig aus. Und weil man Geld einnehmen nicht verbieten kann, muss man eben mehr ausgeben. Sagen die Experten, die müssen's ja wissen. "Binnennachfrage"  nennt man das, komisches Wort, erinnert an Binnengewässer, plätschern so dahin. Oder auf Rechnungen steht manch-mal, ich solle binnen zweier Wochen endlich das Geld abdrücken, wenn ich das Bezahlen mal wieder vergessen habe, soll ja vorkommen. Wenn ich noch mehr kaufen soll, muss ich natürlich noch mehr Rechnungen bezahlen, binnen oder nicht binnen. Am besten wäre es doch, wir machen gleich das ganze Jahr Weihnachten! Naja, Ostern ist ja schon halb Weihnachten, und dann noch was für die Herzallerliebste am Valentinstag, und am Muttertag, sowieso, notfalls auch am Väter- und Kindertag, und wenn sonst nix ist, hat bestimmt schon wieder jemand Geburtstag oder Jubiläum oder was nicht. Und von wegen, Liebe kann man nicht kaufen! Blödsinn, Gehirnwäsche, Propaganda. Klar kann man, ist doch logisch: Wer einem mehr wert ist, dem schenkt man auch mehr! Was denn sonst? Als wir frisch verliebt waren, was hat er mir nicht geschenkt. Und die Kinder, wenn sie noch klein und niedlich sind, man kann ja gar nicht anders, als ihnen alles kaufen! Aber später bekommt man nichts mehr geschenkt. So ist das Leben. Und was soll man auch den Leuten noch schenken? Haben doch schon alles, und dann noch ein bisschen mehr. Unnützes Zeug, das meiste. Aber gut, die Binnennachfrage. Schenken wir halt noch mehr unnützes Zeug, wenn es der Industrie und dem Land hilft, jawoll!

Unbequem, diese Sitze. Und keine ordentliche Hei-zung hier, wird Zeit, dass sie mal neue Wägen anschaf-fen. Ich brauche doch einen neuen Mantel, etwas länger, damit es nicht immer so an den Knien zieht in der S-Bahn, aus der Mode ist er sowieso, letztes Jahr war halt kürzer angesagt. Aber er passt so gut zu den Stiefeln, und ich habe diesen hübschen Schal, und ich könnte sogar den neuen Hut dazu tragen, habe ich noch nie aufgehabt. Naja, egal, kaufen wir halt auch neue Stiefel. Gehen aber nicht mehr in den Schuhschrank, Stiefel gehen sowieso nie ordentlich in den Schuhschrank. Neulich habe ich im Möbelprospekt so einen anderen Schuhschrank gesehen, größer, der hatte extra Stiefelfächer, den könnte man eigentlich kaufen. Ist ja auch nützlich. Jetzt muss ich aber aussteigen, die Zeitung nehm' ich mit, vielleicht finde ich noch einen Möbel- oder Modeprospekt.

Was wollte ich eigentlich einkaufen? Hab' ich doch schon wieder den Zettel vergessen! Ich sollte mir so ein Büchlein anschaffen, gibt es jetzt überall, sehen ganz nobel aus – wahrscheinlich sollte man was Bedeutendes reinschreiben, Liebesbriefe oder so, lol!, aber wäre ja auch für Einkaufslisten ganz praktisch. Also, wahrscheinlich brauchen wir einfach das Übliche. Das ganze Joghurt war schon wieder alle, oder? Gott, ich hasse diese Regale – fünf Meter Joghurt, wer will das eigentlich?, und jedes Mal, wenn ich mir gemerkt habe, was nun gerade die angesagte Lieblingssorte ist und eine ordentliche Palette kaufe, haben die Gören wieder ihren Geschmack geändert - das war doch gestern, Mutti! Nee, Stracciatella-Himbeer geht gar nicht mehr! Mango ist angesagt!!! Egal, kommt es halt in den Müll.

Klopapier, das war es. Vierlagig mit Blümchen oder doch kratziges Öko? Immer diese Entscheidungen, wer ist nicht für Umweltschutz, gutes Gewissen und so, aber pappgrau, das verdirbt einem ja die ganze Verdauung! Passt auch nicht zu den Fliesen. Die Blümchen auch nicht, um ehrlich zu sein, aber wenigstens ein bisschen Frohsinn auf dem Klo, das muss schon sein – weil Sie es sich wert sind, sagen sie doch immer, in der Werbung, eben, wert, man soll sich ja auch schließlich selbst lieben! Ach guck, eine neue Schokoladensorte, sieht ja interessant aus, und so schön verpackt, da muss man doch gleich zugreifen! Soll gar nicht so ungesund sein, wie man immer gemeint hat, für die Psyche und so, wir haben ja alle einen an der Waffel heute, gehört zum guten Ton, und die Psychotherapeuten wollen auch leben. Ob das wohl zur Binnennachfrage gehört? Mehr Klapse, mehr Umsatz, wer gesund ist, zahlt nicht, besser, wir sind alle krank. Und außerdem gehe ich schließlich zum Sport – naja, nicht so furchtbar regelmäßig, wo ist der Ausweis vom Fitness-Studio eigentlich hingekommen? Es soll so tolle neue Kurse geben, so eine Mischung von Aerobic und Fußball und Yoga oder was, keine Ahnung, was zieht man da eigentlich an? Werden schon was haben im Shop, wahrscheinlich braucht man auch neue Schuhe. Kann ich auch im Internet bestellen.

Ach, hab ich ja ganz vergessen, ich wollte erst einmal den Urlaub googeln! Am liebsten würde ich Shoppen fahren, Paris, London, Madrid, oder warum nicht gleich New York, die Flüge sind so billig, sagen alle! Ist doch auch irgendwie sportlich: Man ist viel in Bewegung, von Mall zu Mall, man muss schwere Taschen schleppen, das viele Preisvergleichen hält auch den Geist auf Trab – und die Binnennachfrage erst! Bundesverdienstkreuze sollte es fürs Shoppen geben, und eine Förderung von den Krankenkassen! Shoppen Sie sich gesund! Shoppen macht frei! Wer kauft, sündigt nicht! Mehr ist mehr! Na gut, das liebe Geld will natürlich erst einmal verdient sein, und am Montag geht es wieder los in die Mühle … Vielleicht könnte man ja mit Shoppen Geld verdienen? Das Hobby zum Beruf machen, unglaublich befriedigend soll das sein! Coaching, das ist ja das neue Ding. Konsum-Coaching. Kurse für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis, mindestens drei Wochen jeder, und wer weniger als fünftausend Euro - oder doch besser zehntausend! Think big! - ausgibt, bekommt kein Zertifikat! Shoppen wird Bürgerpflicht, Shoppen gehört zur Bildung, ohne Shopping ist man nur ein halber Mensch!

Nee, jetzt habe ich doch beinahe das Klopapier vergessen, vor lauter Binnen-Binnen-Binnennachfrage! Also mit Blümchen und Duft, man gönnt sich ja sonst nix! So, jetzt aber ab zur Kasse, die Schlange wird auch nicht kürzer, was die Leute nur alles kaufen! Heute Abend dann ein bisschen gemütlich Fernsehen schauen, kostet zum Glück nix, läuft aber auch nur Müll. Oder sollen wir ins Kino, und hinterher noch ein Häppchen beim Spanier? Irgendjemand muss ja auch was für die notleidende Filmindustrie und den spanischen Export tun, oder? Brauchen wir aber einen Babysitter – naja, die Nachbarstochter will auch leben, spart so rührend für das iPhone, das ihre blöden Eltern nicht bezahlen wollen. Snobs, mit ihrem uralten roten Volvo und ihrem Röhrenfernseher, denken, sie seien was Besseres! Aber heimlich bei Manufactum kaufen, ich habe die Pakete doch gesehen! Armes Kind, sag ich nur.

Aber dann wird es wieder so spät heute Abend, man braucht ja seinen Schönheitsschlaf – und ich schlafe so viel besser, seit wir die neuen Federbetten haben - oder sind es doch die Schlaftabletten? egal -, wahrscheinlich würde ich noch besser schlafen mit einer neuen Matratze! Soll auch rückenschonender sein, und für die Gesundheit ist einem ja nix zu teuer. Schließlich will man ja auch noch im Alter kraftvoll zubeißen können, so ein Quatsch, als ob Essen alles wäre, was man noch kann, wenn man alt ist. Bestagers wollen wir werden, Goldengirls, frisch und mobil, notfalls auch mit Rollator, da kann man ja ganz gut Einkaufstüten dranhängen. Rumjetten wollen wir, von Outlet zu Outlet im Luxusbus mit Minibar, Werbeprogramm und klimatisiertem Klo! Kinderhüten braucht eh keiner mehr, dazu haben wir schließlich bald alle Ganztagskindergarten und Ganztagsschulen, und dann gehen sie schon studieren oder was auch immer, Hauptsache, Geld verdienen. Kostet natürlich, Oma war umsonst. Aber Oma geht auch lieber einkaufen, man braucht ja mehr im Alter, und man hat viel mehr Zeit fürs Shoppen! Außer natürlich, man wird dement. Das ist schlimm, ganz schlimm. Man will Joghurt kaufen und kauft versehentlich Klopapier mit Blümchen, das man dann isst, weil man meint, es sind Erdbeeren - pfui! Vielleicht hätte ich doch besser das Öko-Kratz-Papier kaufen sollen!

Hups, da hätte ich doch beinahe die Tüten beim Aussteigen vergessen, hallo Alzheimer!, so fängt es an. Hätte ich wieder los gemusst, Joghurt und Klopapier und Schokolade, alles von vorn. Naja, vielleicht hätte jemand die Tüten gefunden und sich gefreut, es soll ja auch arme Leute geben, Flaschensammeln und so, vielleicht sammeln die auch vergessenes Klopapier? Oder das Zeug käme gleich in die Tonne. Ist ja gar nicht so selten. Gott, was hängen für Klamotten bei mir im Schrank, könnte ich auch gleich in die Altkleidersammlung geben! Und die Bücher zum Altpapier, liest doch eh keiner mehr, die Joghurts in den Biomüll, weg damit, ökologisch korrekt entsorgt natürlich! Wer kaufen soll, muss Platz schaffen, neuer Schuhschrank, neues Bücherregal, neuer Kühlschrank. Na gut, unserer ist noch fast neu, amerikanisch, XXL, mit Eiswürfelfach. Soll jetzt aber bessere geben, die die Eiswürfel auf verschiedene Temperaturen kühlen.

Endlich zuhause, hatte auch echt keine Lust mehr zum Schleppen. Ist der Kühlschrank wirklich schon wieder voll? Schmeißt die alten Joghurts halt weg, isst eh keiner mehr. Noch nicht mal bei den Kiddies hat es was genutzt, die ganze Erziehung zur Nachhaltigkeit - ha! Binnennachfrage, sage ich nur! -, jetzt hat Ronja heute schon wieder ein neues T-Shirt gekauft, der Schrank platzt aus allen Nähten, ich komme mit dem Waschen nicht hinterher, aber es war so stylish, und alle Mädchen in ihrer Klasse haben so eines! Wenigstens war's nicht teuer, fast fashion nennt man das neuerdings, hab ich gehört, von der Stange, einmal getragen, direkt in die Tonne. Und Mathe war schon wieder Mist, sagt Max, soso, blöde Textaufgaben: Wie viel T-Shirts kann ich für 125 Euro kaufen, wenn das billigste 5 Euro kostet - und der Textilsklave in China nicht verhungern soll, aber das stand wahrscheinlich nicht dabei? Martin ist auch schon da, hat nix gekauft, auch nicht die Limo- und Wasserkisten, die er eigentlich kaufen sollte, weil sie so blöd schwer sind – und Wasserkaufen echt langweilig ist, ehrlich.

Aber die armen Männer, die meisten schuften, schuften, schuften, und dann haben sie keine Zeit und keine Lust mehr zum Konsumieren, wo es wirklich nötig wäre für die Binnennachfrage. Früher haben sie doch auch gejagt, was spricht denn gegen das eine oder andere Schnäppchen, sauber erlegt und mit Kreditkarte bezahlt? Alles müssen wir Frauen allein machen! Na gut, das neue Auto. War nicht direkt nötig. Ist aber viel schöner, und soll auch umweltfreundlicher sein. Aber wie viel Paar Schuhe hätte man dafür kaufen können! Und den neuen Schuhschrank gleich mit! Da sollten die Kinder mal eine Textaufgabe machen, lernen sie was fürs Leben. Die Nachhilfe taugt auch nicht, obwohl sie so viel kostet, warum lernen die Kinder eigentlich nichts mehr? Wahrscheinlich sind die Lehrer schuld, sagen ja alle, wie sollen sie auch, bei dem mickrigen Gehalt, vielleicht sollten sie nach Erfolg bezahlt werden, Prämien für jede Eins in Mathe! Wird auch nichts nützen. Hätten sie halt was Ordentliches gelernt, Investment-Banker oder so, lol!, oder wenigstens Konsum-Coach! Nee, selbst schuld. Natürlich, Studium und all das, klar, schöne Zeit, Rumhängen, lässige Klamotten und so, aber denken macht sich halt auf die Dauer nicht bezahlt, das hätte man doch wissen können! Das kommt davon, wenn man oberschlau ist und Textaufgaben lösen kann und meint, iPhones verderben den Charakter. Bringt alles nichts für die Binnennachfrage! Andererseits. Die Kids wollen ja auch nicht so recht lernen. Wofür, fragen sie immer, und wozu das gut sein soll, und schließlich könne man sich für Bildung heutzutage nix kaufen, sieht man ja am Fernsehen, und dann wollen sie wieder shoppen – auf der Klassenfahrt: shoppen; am Wandertag: shoppen; wahrscheinlich machen sie demnächst noch den großen Projekttag "Shoppen für den Weltfrieden"! Die brauchen keinen Konsum-Coach mehr, sind selber alle schon welche.

Hallo Katze, hier sind die Brekkies! Neue Marke, extra für Seniorentiger wie du, damit du schön gesund bleibst. Oder sollten wir uns nicht lieber mal eine neue Katze zulegen? Sind ja niedlicher, wenn sie jung sind, auch wenn sie dann die Möbel zerkratzen, aber ich wollte ja sowieso einen neuen Schrank – nein, jetzt ist es aber wirklich genug! Genug für die Binnennachfrage getan! Macht den Fernseher an, vielleicht kommt was Gescheites! Oh nein, schon wieder Werbung! Hey, das Blümchen-Klopapier aus der Werbung habe ich gerade gekauft, war im Sonderangebot, ist das nicht klasse? Will jemand ein Stück Schokolade vor dem Essen?

DUMM GELAUFEN

Jetzt ist die blöde Karre kaputt, und ich muss doch noch Max vom Fußball abholen! Warum kann er eigentlich nicht mal zu Fuß gehen, beim Fußball laufen sie doch auch, oder? Das gleiche mit Ronja, beim Ballett kann sie hüpfen wie ein Weltmeister, aber wehe, sie soll mal zur Schule laufen! Und von wegen Ballett! Ist ja auch alles nur, damit sie ein Tutu kriegt und als Supermodel später nicht stolpert auf dem Catwalk! Können doch nicht alle Supermodel werden, aber nein, geht nicht rein in den Kopf, da hilft alles Geföhne mit Haargel nix. Könnte zur Abwechslung ja mal was Ordentliches lernen, Bank oder Büro oder so. Oder Briefträger, die müssen auch viel zu Fuß gehen, gibt es eigentlich auch Briefträgerinnen? Sind wahrscheinlich inzwischen mobile Kommunikationsmanager mit der Lizenz zum Stempeln, aber total fit! Für die brauchen wir die Bürgersteige noch, sonst könnten wir sie auch demnächst einreißen, geht sowieso keiner mehr zu Fuß, gibt gleich mehr Platz für Parkstreifen und Tiefgaragen. Oder Rolltreppen, ganz lange, so wie auf dem Flughafen, gibt's in größeren Outlet-Centern ja jetzt schon, das Gerenne mit all den Tüten ist auch wirklich zu blöd. Wenn das mit den High Heels so weiter geht, kann sowieso bald keine Frau mehr laufen, wozu auch? Entweder man fährt ins Outlet, oder geshoppt wird von zuhause, von Amazon bis Zalando, in Puschen. Nee, kleiner Scherz, shoppen geht immer, klar, bis die Zehen bluten und wir auf dem Zahnfleisch gehen!

Na gut, laufe ja selbst nicht gern, obwohl, soll ja so gesund sein, mehr Bewegung, Bewegung, Bewegung, predigen alle, leider zählt reden nicht als Bewegung und shoppen ist nicht joggen! Hier im Park wird vielleicht gerannt, ständig wird man überholt, und alle haben einen Knopf im Ohr und hören das eigene Gepuste nicht! Vielleicht sollte ich doch mit Joggen anfangen, wäre ja nicht schlecht, man könnte so ein schickes Outfit kaufen – nee, gleich mehrere, je nach Wetter! - und stinkteure Turnschuhe, muss man ja so darauf achten, gutes Material! Sonst nutzt alles nix und die Knie gehen kaputt und man kann nur noch bunte Designer-Krücken kaufen! Ist ja auch die reine Modenschau hier, geschmacklich etwas durchwachsen, bauchfrei sieht natürlich besser aus, vor allem wenn man keinen hat, und grellpink kann auch nicht jeder tragen. Wenn ich die so angucke, wahrscheinlich rechnen alle nur die ganze Zeit aus, wieviel Kalorien sie schon weg haben und wieviel sie noch müssen und wie sie cooler aussehen beim Laufen und ob's denn helfen wird beim nächsten Date. Wer nicht fit ist, hat schließlich kein Fun, gell?

Muss ja auch nicht unbedingt Joggen sein, kriegt man immer so einen roten Kopf. Schwimmen soll ja auch gut sein, für den Rücken und so. Ist aber übel für die Haare, und außerdem ist es elend weit zum Schwimmbad, muss man wieder mit dem Auto hinfahren, will ja auch keiner das ganze Zeug schleppen, nasse Handtücher sind irre schwer. Beach Volleyball ist irgendwie cool, hat aber eine Altersgrenze, ey, Alte, gehörst du nicht in das Se-niorenheim oder so? ich hör sie direkt gackern. Oder Dings, wie heißen sie, Rollerskater – auch cool, kurze Höschen und so, aber wenn die Hüfte erst mal gebrochen ist, ist der Spaß vorbei und das Seniorenheim winkt wirklich. Tennis? Reiten? Golf? Nee, wenn ich so reich wäre, würde ich mein Geld für was anderes ausgeben und hätte einen Fitnessberater, der macht dann Sport für mich mit. Und Olympia, haben wir ja gerade mal wieder, Gott, alle vier Jahre das Getue, mehr Polizisten als Sportler, Kunstschnee und Cola-Werbung, und am Ende gewinnt Deutschland. Ohne Doping wäre sowieso längst tote Hose, und was schert es mich, wenn der eine eine Hundertstelsekunde schneller ist als die andere? Nee, brauchen wir eigentlich auch nicht, macht die Masse auch nicht fit, sondern fett, müssen ja Cola trinken in der Werbepause. Andererseits. Ist großes Geschäft, deshalb machen wir's natürlich doch. Und am Ende gewinnt Deutschland, hab ich doch gesagt, oder? Peinlich.

Man kann ja auch walken, ist auch altersgemäßer, wenn die blöden Stöcker nicht wären, sieht aus wie Trockenskifahren, aber ohne Skihütte und Jagertee. Albern irgendwie, das Gestakse, vor allem wenn sie in Herden kommen, plappernde Hühnerhaufen, was reden die nur die ganze Zeit? Fragt man sich ab und zu wirklich, irgendwann ist ja auch mal alles gesagt, und so viel geben die Hühneraugen nun auch nicht her. Früher, da ist ja man noch spazieren gegangen; komisches altmodisches Wort eigentlich, spazieren. Wo geht man eigentlich hin, wenn man spazieren geht? Im Kreis rum, meistens. Oder hin und zurück. Eben. Wir haben's gehasst als Kinder, war ja noch nicht mal im Park, sondern eigentlich gab's gar nix zu sehen außer Natur. Meistens war's trüb, wenn's nicht geregnet hat, bei Sonne konnte man ja was Besseres machen, Schwimmbad, Minigolf, oder einfach gar nichts, in der Sonne darf man ja auch mal gar nichts tun. Und wenn man beim Spazierengehen mal gefragt hat, wie die Blume am Wegesrand heißt, hat's auch nie-mand gewusst, von wegen kindliche Neugier und so. Besonders weit sind wir sowieso nicht gekommen, weil Mutti dann gestöhnt hat, auch ohne High Heels. Oder weil wir uns verlaufen hatten, gab ja kein GPS-Handy, und dann haben sie sich natürlich gestritten, wer schuld war, ich hab's ja gleich gesagt, da bei dem großen Baum links, nee, das war ein ganz anderer Baum, weiß nicht wie der heißt! Typisch. Gab halt noch keine PlayStation. Am Ende hatte man nix als dreckige Schuhe. Aber man durfte Kuchen essen. Immerhin. Wahrscheinlich war das das eigentliche Ziel. Erst Wald und Wiesen im Kreis, dann Sahnetorte.
Und in der Schule, da hatten wir doch noch Wandertage! Wandertage, das Wort schon! Na gut, war schulfrei, wer will da meckern, aber meistens sind wir auch nur durch den Wald gelaufen und haben Blödsinn gemacht. Wenn sie heute einen Ausflug machen sollen in der Schule, wollen sie entweder in den Freizeitpark oder Shopping. Nach München fahren, eine Viertelstunde durchs Deutsche Museum quälen, öööööde!, und dann endlich Shopping! Klar, ist ja einfacher für die Lehrer. Und wenn das nicht geht, dann wenigstens Kanufahren oder Kletterpark, von wegen einfach so durch den Wald laufen. Oder wenn gar nichts mehr geht, unterrichtsmäßig und so: Projekttage! Entsetzlich. Für einen guten Zweck klar, erzieherischer Wert und so, aber der allerbeste Zweck ist, dass die Lehrer keinen Unterricht machen müssen und die Eltern sich "engagieren" sollen! Klappt aber meist nicht besonders, die Kiddies drücken sich wo sie können, Limo verkaufen ist schon das allerhöchste, und wenn Max noch einmal ein Poster zum Thema "Globalisierung" oder "Biosphärengebiete" machen muss, tickt er aus!

Huch, Vorsicht, Hundescheiße-Tretmine! Na klar, die armen Kerls müssen auch immer raus, wer nicht joggt, hat einen Köter, wahrscheinlich sollte man besser getrennte Laufbahnen einrichten, oder? Ach nee, der politisch korrekte Hundehalter hat ja heute sein Beutelchen dabei, wie heißen die eigentlich? Doggie bag war ja irgendwie was anderes. Hätte man sich früher auch nicht recht vorstellen können, wozu der Mensch sich alles herablässt. Klar, hätte damals auch gern einen Hund gehabt, immer schon, nicht dämliche Meerschweinchen, die nur piepsen und im Kreis rennen – naja, ein bisschen kuschelig waren sie schon, aber wird ja bald langweilig, und am Ende hat es der Nachbarhund gefressen, volles Trauma! Oder Zwergkaninchen, die schlaueren haben sich immer unter ihrem Käfig durchgebuddelt und sind zur Gärtnerei abgehauen, da saßen sie dann quietsch-vergnügt zwischen den Tulpen und wir mussten sie wieder einsammeln. Waren aber sonst auch langweilig und sind bald gestorben, wie die Meerschweinchen. Aber wenigstens musste man sie nicht Gassiführen, und den Käfig hat ja Mutti dann doch saubergemacht.

Nee, lieber einen Hund, einen richtig großen, mit dem man ordentlich Show abziehen kann, mit Sitz! und Platz! und Fass! und so – naja, wenn er hört, macht wohl ziemlich Arbeit, bis das klappt, Hundeschule und so. Hat ja bei den Kiddies auch nicht funktioniert. Funktioniert noch nicht mal bei mir selbst: Jogge! Walke! Beweg Dich! Passiert nix, gar nix. Na gut, Sitz! funktioniert. Meistens. Vor allem vor dem Sofa. Und Martin muss dann Bier apportieren, klappt immerhin manchmal, kleiner Erfolg. Kommt jetzt der blöde Fußballplatz eigentlich bald, oder wieviel Jogger und Gassigeher muß ich noch ertragen? Könnte jetzt gemütlich zuhause sitzen und den Feierabend mit einem Gläschen einläuten, aber die blöde Karre wollte ja nicht! Muss auch mal wieder ein neuer her. Andererseits. Ist auch besser für die Umwelt, wenn man mal läuft. Aber wann eigentlich? Zur Arbeit fährt man besser, man muss ja was mitnehmen, oder man ist zu spät dran morgens, oder es regnet, irgendwas ist immer. Und dann mit dem Aufzug in den fünften Stock – jedes Mal sag ich mir, innerer Schweinehund und so, kostenloses Fitnesstraining, aber fünf Treppen, bestimmt über 100 Stufen, hallo, geht's noch? Nee, Aufzug. Im Büro läuft man dann ja eher wenig. Und abends zurück das gleiche, selbst zum Treppenruntergehen ist man da zu schlapp, nur noch Sitz machen auf dem Sofa, brav!

Die Firma könnte eigentlich ja mal einen Fitnessraum anschaffen, soll's ja viel geben, vor allem in Amerika, silicon valley und so, wo alle so gesund sind – jedenfalls wenn sie nicht mega-übergewichtig sind und sowieso nur noch mit Kränen aus der Wohnung geholt werden können. Könnte man zwischendurch ein paar Hanteln stemmen, und natürlich Laufbänder – kann man Video gucken und muss nicht über die Hundescheiße springen. Und hat natürlich Flirt-Potential. Lol! Wahrscheinlich erst, nachdem man mindestens ein halbes Jahr trainiert hat und nicht nur Fit for Fun durchgeblättert und den Fitness-Power-Vitamintrunk getrunken hat, wie wir damals im Fitness-Studio. Nee, war eher eine Folteranstalt, was man mit so unschuldig aussehenden Gummibällen und bunten Gummibändern für Fiesheiten veranstalten kann, hätte ich ja nie gedacht! Und wo der Mensch überall Muskeln hat, die wehtun können! Und dann die Instructors, oder wie die heißen, Sklaventreiber waren das, je dürrer, je doller, wenn es noch Galeeren gäbe, wären die echt besser am Platz mit ihrem Motivationsgebrüll. Und dann sollte man bei all dem noch grinsen und sich gut fühlen und am besten vor Begeisterung mitbrüllen, auch wenn man kaum noch Luft zum Japsen hat, yes, drill sergeant, yes! Die Füße habe ich mir verknotet auf diesem blöden Stepper, und vom Ball bin ich immer runtergefallen. Jetzt können wir rückenschonend Bierkisten stemmen, aber das war's auch schon. Gott, was ein rausgeschmissenes Geld! Aber muss man mal gemacht haben, und hinterher weiß man wenigstens, dass das garantiert das falsche war. Ist man ja auch nicht allein mit.

Nee, dann doch lieber Wellness. Klasse Erfindung: Man geht ein Wochenende abhängen, in lauwarmen Wasser plätschern, einschläfernder Meditationsmusik lauschen und dicke Öko-Menüs essen, und hinterher kann man sagen: Wellness-Urlaub. Klingt gleich nach was. Ist ja irgendwie alles Wellness heute, Hauptsache es kostet Geld, macht kein Stress und hat irgendwie mit lauwarmen Wasser zu tun, warum eigentlich? Wahrscheinlich weil lauwarmes Wasser nix kostet. Und fernöstlich natürlich, Yings und Yangs, wo man hinguckt, grinsende fette Buddhas, die waren definitiv auch noch nie Joggen. Aber innere Mitte, klar, leuchtet einem ein, ist auch viel leichter zu finden, wenn die Mitte etwas breiter ist, vor allem um die Hüften. Wellness hier, Wellness da, wir haben es uns schließlich verdient, wir sind es uns wert und man lebt nur einmal! Zweimal könnte man sich auch echt nicht leisten, bei dem vielen Wellness-Urlaub und Wellness-Wochenende und Wellness-Klamotten und Wellness-Ernährung und Wellness-Zeitschrift – nee, eigentlich müsste man geradezu unsterblich well davon werden! Macht aber kein Unterschied, weil im Himmel ist sowieso Wellness pur. Aber die Jogger müssen in die Hölle, die nerven sonst nur mit ihrer Hyperaktivität. Naja, ein paar Hunde lassen wir vielleicht rein. Zum rum-kommandieren.

Nee, Bewegung ist eigentlich sowieso ganz falsch, führt zu nichts, spazieren läuft man nur im Kreis und für die Sahnetorte, Joggen macht die Knie kaputt, Walken macht Hühneraugen und Olympia ist nur für's Geschäft. Sieht man ja schon an der Frauenbewegung, wären wir mal schön geblieben, wo wir sind, jetzt müssen wir auch noch Karriere machen wie die Kerle, das haben wir nun davon! Dann doch lieber innere Mitte und Wellness. Endlich, fast da, mir fallen gleich die Füße ab, na gut, falsche Schuhe natürlich. Was wird er maulen, wenn er heimlaufen soll, Terror, unmenschlich, die reinste Kinderfolter! Bin froh, dass er wenigstens zum Fußball geht und nicht nur vor dem Computer hockt. Ist ja auch irgendwie komisch, diese Profifußballer heutzutage, auch alles Models, ohne Haargel geht gar nix, und richtig cool ist man erst, wenn man eine eigene Parfummarke hat. Und eine sexy Spielerfrau natürlich, tolles Berufsbild, echt. Ich wird' später mal Spielerfrau, wenn ich groß bin, und mit High Heels noch größer, geht's noch? Und wer macht den Abwasch? Nee, kommt nicht vor. Auch kein Hund, noch nicht einmal ein Meerschweinchen, die sterben sowieso immer.

Hallo Sohn, wie war das Training? Anstrengend, sag nur! Nee, Auto ist kaputt, muss in die Werkstatt. Taxi? Spinnst du? Kannst du machen, wenn du in der Bundesliga spielst und eine eigene Parfummarke hast und eine Spielerfrau, und nicht nur billiges Haargel. Durch den Park sind's nur zehn Minuten, zu Fuß, hab sogar ich geschafft! Nee, ich hab dir deinen Gameboy nicht mitgebracht, es wird doch mal zehn Minuten ohne gehen, oder? Nee, fällt das Gehirn gleich in den Leerlauf und man stirbt. Lass es doch mal laufen, vielleicht fällt ihm ja was ein, wer weiß, vielleicht sogar mal was Intelligentes? Oder guck dir die Blumen an! Wie die gelbe heißt? Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Gibt's bestimmt 'ne App für, guck halt auf dein Handy! Und pass auf, Hundescheiße!


ABER BITTE MIT SCHOKI!

Jetzt ist schon wieder die Truhe leer, warum hat eigentlich wieder keiner eingekauft? Tiefkühl-Pizza ist alle, keine Tiefkühl-Pommes, noch nicht mal mehr Eiscreme, nur Erbsen, von wann sind die eigentlich? Mehr Eis-klumpen als Grün dran. Und was ist in diesen komischen blauen Beuteln? Hundert Jahre liegen die da schon, prähistorisch wahrscheinlich. Sollte man ja eigentlich Schilder drauf machen, Inhalt und Haltbarkeit und so, lol! Als hätte man sonst nichts zu tun.

Gucken wir halt in den Kühlschrank, da wird doch noch was da sein. Brot ist wieder schimmelig, isst ja sowieso keiner mehr, die Kiddies sowieso nicht, höchstens Papp-Sandwiches oder Toastbrot ohne Rinde, irgendwann werden die Menschen keine Zähne mehr haben und keiner weiß mehr, was mit "Abendbrot" gemeint war, heißt das nicht Abendrot, Wangenrot oder so ähnlich? Und morgens, wenn überhaupt, was mit Schoki, mit Nutella geht ja alles – nee, Nutella ist auch alle, Himmel nein, passt denn gar keiner auf in diesem Haushalt? – sogar Brot geht notfalls mit Nutella. Früher gab's ja auch noch Pausenbrot, ja, ehrlich, Brot, kann man es fassen? Natürlich, gegessen hat es keiner, und auch all die Tricks mit Gurkenkringeln und handgeschnitzten Möhrengesichtern, voller Blödsinn, sie haben's trotzdem weggeworfen, oder, schlimmer noch! wieder mit heimgebracht, hat die Hefte und Schulbücher auch nicht schöner gemacht, wenn es dann alles so zusammenpappt mit ranziger Butter… Aber nein, dann lieber in der Pause was kaufen, auch wenn man beim blöden Hausmeister anstehen muss, und man kann ja auch schnell zum Bäcker huschen und was mit Schoki --- Da fällt mir ein, als ich noch zur Schule ging, haben wir immer Mohrenkopfbrötchen gekauft, schon das Gefühl, wenn man sie so zerquetscht hat zwischen den knusprigen Brötchenhälften, war ja irgendwie klasse, und schließlich gab's noch keine Mikrowellen für Mohrenkopfexperimente! Darf man die eigentlich überhaupt noch so nennen, hallo Gedankenpolizei? "Negerküsse" macht es ja auch nicht besser, obwohl ich gar nicht weiß, was falsch dran sein soll, von so einem süßen Neger geküsst zu werden. Wahrscheinlich heißen sie jetzt "Schaumkissen mit Schokobezug" oder so! Klingt echt blöd, wie all dieser politisch korrekte Müll, und ändern tut's auch nix, im Gegenteil, wenn's verboten ist, tut man es nochmal so gern.

Aber was mach ich nun, gleich kommt die Bande, und ich hab nix, gar nix, na gut, zwei matschige Möhren, wo kommen die eigentlich her? Ach, wollt ich mal Salat machen mit Ronja, ist dann aber nix draus geworden, weil das Öl alle war. Der Schinken könnte notfalls noch durchgehen, was hat sich denn da versteckt? Puuh, Käse, müffelt schon, aber wenn man irgendwas mit Nudeln – Gott, Mutti wäre da was eingefallen, die hat ja auch noch gekocht, jeden Tag, Horror, die Ideen allein! Na gut, war ein bisschen immer dasselbe im Kreis herum, und war auch nicht alles gut, wenn ich nur an diese Schwarzwurzeln denke - ist abgeschafft inzwischen, oder? Schwarzwurzeln, verstößt ja gegen die Menschenrechte, würde Ronja sagen, mindestens. Aber wenigstens gab's was Warmes, kaufaul waren wir damals schon. Und notfalls Pfannkuchen bei Oma, das ging immer. Pfannkuchen, wäre das nicht eine Idee? Kann man Schoko drauf tun, essen sie auch, notfalls. Braucht man aber Eier von glücklichen Hühnern. Nee, sind keine da, auch keine von unglücklichen. Besser so, die kleben sowieso nur ewig fest in der Pfanne, auch wenn sie im Shoppingkanal immer das Gegenteil behaupten, alles Lüge, wenn man dreimal drauf reingefallen ist, weiß man das auch.

War ja echter Fortschritt, als die ersten Fertiggerichte kamen. Na gut, Ravioli aus der Dose war noch nicht so die Krönung, aber heute kann man ganze Feinschmeckermenüs kriegen, ab und in die Mikrowelle, und schon ist man die Fünf-Sterne-Mami, besser als selbstgekocht, und auf keinen Fall Schwarzwurzeln! Fängt ja schon bei den Allerkleinsten an, alles fertig aus dem Gläschen: grünes Breichen, gelbes Breichen, oranges Breichen, und Bäuerchen - nee, hat das eklige Flecken gemacht, wenn sie das immer wieder hochgerülpst hat, vor allem die Möhren! Wären Schwarzwurzeln vielleicht besser gewesen, relativ farblos, in jeder Hinsicht. Und im Altenheim dann wieder, braunes Breichen, gelbes Breichen, lila Breichen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es gibt ja auch noch Breichen. Nee, jetzt ist aber gut!

Wenigstens kriegen sie mittags in der Schule was zu essen, auch wenn sie ewig jammern und wahrscheinlich doch heimlich zum Döner gehen oder zu Macdonalds, klar, mach ich ja auch mittags. Gibt zwar jetzt auch all diese gesunden kleinen Läden in der Stadt, hier ein Süppchen, dort eine Salatbar, handgepresste Säfte in allen Regenbogenfarben, aber irgendwie sitzen da immer die gleichen. Frauen natürlich. Junge. Dünn sehen sie aus, die meisten, die Männer gehen sowieso zum Döner oder Macdonalds. Martin ja auch, klar, man sieht's am Bäuchlein. Aber wenigstens muss ich dann abends nicht kochen, bin ja nicht der Haushaltssklave hier, oder? Wie sagt man eigentlich politisch korrekt "Hausfrau"? "Fachfrau für Putz- und Ernährungsfragen"? Nee, Fachperson, natürlich. Grundkurs: Beschriftung von Tiefkühltuten, lol!

Also mal wieder Take-away, wo ist der Pizza-Schnell-Express-Zettel noch mal? Sind ja immer ziemlich kalt, bis sie ankommen, und für den Geschmack machen sie lieber noch ein paar extrascharfe Peperoni drauf, damit keiner merkt, dass es auch nicht frischer schmeckt als aus der Truhe. Und dieses ganz spezielle Aroma von Dosenpilzen, das erinnert einen ja auch so an die guten alten Kindertage … Wussten wir ja früher gar nicht, dass Ananas oder Pilze auch außerhalb von Dosen existieren, oder gar, wie sie aussehen! Heute kommt das Zeug aus der ganzen Welt geflogen, von der Hälfte weiß ich nicht mal den Namen, und schon gar nicht, ob man es isst oder ins Badewasser tut oder in die doch-haftende Bratpfanne … Und die Kinder – naja, was ein Apfel ist, wissen sie gerade noch, danach hört's aber schon auf! Man sollte so eine Art Gemüse-Zoo anlegen, zur Allgemeinbildung. Würden sie aber nicht hingehen, sie maulen ja schon im richtigen Zoo, wenn die Affen nicht steptanzen und der Löwe wieder nur gähnt - mindestens kleiner Knuddel-Eisbär, unter Knut tun wir's nicht. Und schälen muss ich den Apfel am Ende doch. Oder Kartoffeln schälen, neulich sollte Ronja Kartoffelschälen, schon als sie das Messer gesehen hat, hat sie losgebrüllt. Ob wir nicht lieber Pommes, wäre doch einfacher, und auch viel ungefährlicher! Na gut, haben wir dann ja auch gemacht. Ohne Schoki. Wenn Mayo, dann geht auch ohne Schoki.

Natürlich, man wird fett, immer nur Pommes Mayo und Nutella auf alles und Pizza-Express, wenn einem gar nichts mehr einfällt. Dann macht man halt Diät, machen ja auch alle. Soll aber nix helfen, liest man doch immer wieder, eine Woche sagen sie, nur Kohlenhydrate, die nächste: bloß keine Kohlenhydrate!, und was eigentlich Kohlenhydrate sind, weiß auch kein Schwein, naja, vielleicht die Fachperson. Hat Schokolade eigentlich Kohlenhydrate? Ist sie vielleicht deshalb so schwarz?! Nee, Diät, mal nur Kohl, mal nur Ananas, mal nur Kartoffeln, selbst geschält natürlich, wenn das wenigstens ordentlich Kalorien verbrauchen würde, aber nein, macht nur Müll und kaputte Finger. Nützt alles gar nix, deshalb fange ich auch gar nicht damit an. Werden wir halt fett, Zivilisationskrankheit und so, und besser fett und zivilisiert als dürr und prolo, oder? Nee, stimmt ja gar nicht, in den Umfragen steht es immer umgekehrt. Komisch eigentlich. Je weniger Geld die Menschen haben, desto mehr fressen sie. Naja, man hat ja auch sonst nix, worauf man sich freuen kann, oder?

Und von wegen gesund, genau das gleiche. Früher dieses, heute jenes, und wahrscheinlich wäre die Menschheit längst ausgestorben, wenn sie sich konsequent gesund ernährt hatte, während sie mit Schnellfress und Doppelwhopper offensichtlich wächst und gedeiht. Und gerade Schokolade soll ja so gut für's Gehirn sein, sagen die Wissenschaftler – von wegen, müssten wir ja alle den ganzen Tag nur Geistesblitze haben, vom Nutella-Frühstück bis zum Pralinenbetthupfer, aber von wegen! Da blitzt nix, rein gar nix, Funkstille! Wo soll's auch herkommen, seien wir ehrlich. Wahrscheinlich auch nur so eine Theorie von Wissenschaftlern, die gern Schoki essen, täglicher Selbstversuch und so, und dann ist es eben für die Wissenschaft. Soll außerdem auch gut für's Gemüt sein, ist ja auch wichtig, bei all dem Stress heute, überall Stress, zum Beispiel, was essen wir nun eigentlich, finde den blöden Pizza-Zettel nicht, hat Max wahrscheinlich neulich Flieger von gebastelt, als sein Handy kaputt war. Dann eben chinesisch, ist ja sowieso gesünder mit all dem Gemüse und Soja hier und Soja da und noch ein bisschen Tofu. Und die Chinesen werden ja auch so alt, oder waren das jetzt die Japaner? Egal, wir bestimmt nicht, wir würden ja noch Nutella über den Reis kippen, ehrlich. Aber notfalls, so eine knusprige Entenbrust, das wär schon recht heute Abend. Und wir könnten mal wieder gemütlich zusammensitzen, man sieht sich ja gar nicht mehr, in der Familie und so, wann haben wir eigentlich das letzte Mal zusammen gegessen und geredet? Und über was um Himmelswillen?

Ach guck, SMS von Max, er kommt gar nicht zum Abendessen, kriegt Pommes bei Julian. Klar, die kochen auch nicht, hab ich mir doch gedacht, haben aber wenigstens Pommes in der Truhe. Und Ronja könnte doch eigentlich auch auf dem Heimweg vom Ballett eben bei Macdonalds vorbei, ist ihr sowieso lieber, mal gleich simsen. Müssen wir nur noch Martin versorgen, aber der sollte eigentlich wirklich mal Diät machen, oder? Träum weiter, und ich will schließlich auch was essen. Oder er kann einfach was mitbringen auf dem Heimweg, genau, das ist es! Hallo Schatz, ja, kannst du eben noch was zum Abendessen mitbringen? Nee, hab keine Idee, ist alles leer hier, die Kiddies essen unterwegs. Wir könnten ja mal einen Salat – was? Nee, Olivenöl ist auch alle, gibt's da nicht so Salat-Fertigmischungen, gleich mit Dressing? Ja, stimmt, ist blödsinnig teuer, müssen ja auch portugiesische Salatzupferinnen bezahlt werden von, wahrscheinlich, Globalisierung und so. Na gut, dann Schnitzel, gibt's schon fertig paniert – was? Nee, ich glaube nicht, dass es portugiesische Schnitzelpaniererinnen gibt, das macht der dicke Metzger persönlich, mit seinen dicken Wurstfingern – nee, auch kein schöner Gedanke. Klar, trotzdem. Und Tiefkühl-Pommes, paar Großpackungen gleich. Und Nutella, die supergroße Super-Sparpackung. Dafür sparen wir ja am Salat. Aber mach schnell, es gibt gleich Deutschland sucht den Superkoch! Bis gleich, Dickerchen!


VOLL ORIENTIERT

So, jetzt aber schnell, in zehn Minuten muss ich am Kino sein, Martin wartet bestimmt schon, ist immer so super-pünktlich, das nervt! Sollte ja eigentlich wissen, wo das ist, so oft wie wir schon da waren, aber googeln wir's sicherheitshalber lieber. Da haben wir's schon, genau, Adresse schnell ins Navi, zehn Minuten nur, na also, ist ja eigentlich gleich um die Ecke. Klar, Berufsverkehr und so, kann das Navi ja nicht wissen, was weiß so ein Navi schon, auch wenn es immer so altklug daher schwätzt. Und wie die Leute wieder fahren heute! Wie sie denken, und noch nicht mal das können sie. Wahrscheinlich alle am Verhungern, ich übrigens auch, fällt mir gerade auf. Vielleicht sollte ich eben auf einen Happen zu MacDonalds, sonst futtere ich im Kino wieder bergeweise Popcorn, oder, noch schlimmer: Nachos! Erfindung des Teufels, macht süchtig, das Zeug, und krümelt und knirscht beim Essen und macht Soßenflecken und nervt die Nachbarn, und dann erst auf der Waage! Katastrophe, ich mag gar nicht dran denken!

Wo ist denn jetzt der nächste MacDonalds? Ach guck, ganz kleiner Umweg nur, eben rechts und links und – nee! Schon wieder eine Umleitung! Was bauen die eigentlich die ganze Zeit, mit unseren sauer verdienten Steuergeldern? Straßensperren wahrscheinlich, sonst nix. Wo kriegt man hier bloß was zu essen? Mal schnell auf die App gucken, nee, oder? 13 Restaurants, 15 Cafés und 7 Bars, alle in der näheren Umgebung, wie soll man sich denn da entscheiden? Klar, Preisvergleich, Kundenbewertung, wer hat laktosefreie Milch und wo gibt's freies WLAN und 17 verschiedene Salatdressings, eines gesünder als das andere, aber keiner sagt mir, was ich essen soll! Typisch. Muss ja auch schnell gehen. Huch, sind ja nur noch fünf Minuten bis Filmbeginn, na egal, der Film läuft heute Abend noch dreimal, schicken wir Martin schnell eine SMS, so!

Tanken muss ich auch schon wieder, könnte das Navi ja auch mal Bescheid sagen: "Sie haben Ihr Benzin verbraucht!" oder so, charmant dahingeflötet, damit's nicht so weh tut im Geldbeutel, wenn die Tanke einen wieder abzockt. Was sagt denn diese neue Tankstellen-App, ach guck, da ist ja gleich eine billige, kleiner Umweg nur; kann ich gleich einen Schokoriegel kaufen, oder doch eine Curry-Wurst? Immer noch besser als Nachos, kalorienmäßig, obwohl, eher knapp wahrscheinlich. Auch egal, der Hunger treibt's rein! Morgen machen wir halt Diät, oder übermorgen, oder wenn es wieder Sommer wird! Und spätestens wenn die Klimakatastrophe kommt, tragen wir alle nur noch Bikinis und Currywurst wird gesetzlich verboten, jawoll! Oder darf nur noch in so kleinen Kabuffs verzehrt werden, gleich neben den Rauchern; und auf jedem Pommes ein Totenkopf!

Himmel, was denke ich da wieder ein Zeug zusammen, müssen die Benzindünste sein, wahrscheinlich halluzinogen, und die Kassierer in der Tanke sind sowieso ständig high, würde auch einiges erklären.... Komisch, dass hier noch überall diese altmodischen Straßenkarten in den Regalen stehen, wer braucht die eigentlich noch? Geldkarten brauchen wir, Handykarten, notfalls auch Kinokarten – aber einen Straßenatlas, das ist doch so von vorgestern! Und selbst da war er schon viel zu alt, die Seiten fielen raus, und Mutti hielt ihn verkehrt herum und Papa hat geschimpft, und verfahren haben wir uns sowieso, und wenn wir nicht gekotzt haben - zu viel Schokoriegel an der Tanke, schon damals -, konnten wir schon froh sein. Von wegen früher war alles besser, lol!

Apropos verfahren, wo bin ich denn jetzt hingeraten? Nee, das blöde Navi hat wieder die kürzeste Route angezeigt, und jetzt stehe ich hier in diesem Wohnviertel, Spielstraße und so, Schritttempo!, echt nicht wahr, oder? Kinder spielen doch seit hundert Jahren nicht mehr auf der Straße! Ist ja auch viel zu gefährlich, könnten sich ja verirren und so, gar nicht auszudenken! Dann doch besser ab ins Internet mit den Kleinen, da schaut wenigstens die NSA! O.k. das Navi programmieren wir besser neu, schnellste Route, endlich ab zum Kino, komm schon – was ist denn nun schon wieder? Jetzt zeigt das blöde Ding gar nichts mehr an! Blöde Technik, immer dann, wenn man sie wirklich braucht, geht sie kaputt, logisch. Na gut, dafür haben wir ja noch ein Handy; kann ich gleich eine SMS schicken, dass es mit dem nächsten Film auch nix wird, armer Martin, immer mehr Nachos, Frustfutter und so! Das kommt eben davon, wenn man pünktlich ist. Rücksichtslos, so was.

Die Curry-Wurst in der Tanke war auch nicht gerade üppig, vielleicht sollten wir überhaupt lieber essen gehen, da soll es doch gleich beim Kino dieses neue Restaurant geben, das kann ich schnell online reservieren, guck, da ist ja schon die Speisekarte – was?! Sooo teuer? Alles Schnickschnack. Dann doch lieber Kino, das ist ja sogar mit der Monsterportion Nachos noch billiger! Wenn ich es erst einmal finde, jedenfalls. Also, Adresse ins Handy, bist ja ein smartes Phone, nicht ein dämliches Navi ohne Verstand, und schon – nee! Akku alle! Hätte ich doch eine Karte gekauft an der bescheuerten Tanke, Handykarte natürlich, was will ich denn mit einer Straßenkarte hier in der Einfamilienhaus-Wüste? Na gut, benutzen wir mal unseren natürlichen Orientierungssinn, soll's ja geben, irgendwas werde ich mir doch gemerkt haben, Wegmarken oder so, hab ich mal gelesen, und dass Frauen sich andere merken als Männer – logisch, was denn sonst? Hat Martin schon jemals von sich aus zur Parfümerie gefunden? Aber jeden Baumarkt findet er, blind, mit verbundenen Augen, wahrscheinlich am Geruch oder so. Und Frauen natürlich. Andere. Wenn Blondinen Wegmarken wären, wären sie wenigstens zu was nutze. Nee, wie gemein! Andererseits. Ist ja auch viel praktischer als Frau, doof und orientierungslos zu tun. Spart jede Menge Arbeit, und irgendwann muss man sich ja auch die Haare schön machen. Für die Kerle. Und natürlich bestimmen wir doch, wo's langgeht. Because we can, jawoll!

Ich könnt ja auch jemand nach dem Weg fragen, theoretisch und so, kommt aber natürlich keiner, sind alle brav zuhause und spielen mit ihren Handys oder fahren desorientiert durch die Gegend oder sitzen gemütlich im Kino und fressen Nachos mit Totenkopf drauf! Hach, da kommt endlich einer, spießiger Typ, passt zur Gegend, entschuldigen Sie bitte, ich suche – was? Kennt sich natürlich auch nicht aus, klar, noch nicht mal der Spießer weiß mehr, wo er wohnt! Das macht doch das Navi, und mit Mühe merkt man sich noch die eigene Adresse, aber dann ist es aus, Pustekuchen, und man könnte genauso gut auf dem Mond sein! Sähe wahrscheinlich auch so aus wie hier, nur mit Mondsteinen in den Steingärten, muss man auch nicht mähen und so. Ach Gott, ich sollte wenigstens Martin Bescheid sagen, dass es nix wird mit Kino, aber wie denn bitte? Öffentliche Telefone gibt's nur noch im Museum, gleich neben den Straßenkarten, gibt es eigentlich noch Museen? Egal, findet sowieso keiner hin. Und Martins Nummer weiß ich gleich gar nicht; kann mir ja noch nicht mal meine eigene merken, seitdem wir keinen Festnetzanschluss mehr haben, lohnt sich ja auch nicht, alle paar Monate ein neues Handy, wer merkt sich da schon zwölfstellige Nummern? Gehirntrainer wahrscheinlich, und Gedächtniskünstler. Mein Gehirn kann überhaupt nur noch vierstellige Nummern, eine PIN neben der anderen, die Welt ist vierstellig heutzutage!

Mist, ich will jetzt nach Hause, ich muss aufladen, mich, das Handy und das Navi! Na Gott sei Dank, da ist die Tanke wieder – oder ist das doch eine andere? Sieht doch auch eine aus wie die andere, die Tank-App sagt wohin, das Navi sagt wo lang, was merk ich mir so einen Kram? Aber wenigstens kann ich eine neue Handy-Karte kaufen, na also, und schon funktioniert's wieder, WhatsApp? – och ne, 27 SMS, mag ich jetzt eh nicht lesen, na gut, wenigstens die von Martin: ach, hat sich auch verfahren, der Gute, ha! Von wegen natürlichem Orientierungssinn, der Film ist sowieso vorbei, sollte ein Road movie oder so was sein, lol!, verfahren können wir uns auch selbst, und dabei verkrachen sowieso! Konnten schon Mutti und Papa! Filmreif! Mit kotzenden Kindern in den Untertiteln! Aber nicht mehr heute, danke, heute fahren wir lieber nach Hause und chatten noch eine Runde, auf dem Sofa ist es eh am gemütlichsten, und den Kühlschrank finde ich auch ohne Navi. Noch. Aber leider keine Nachos. "Sie haben Ihr Ziel erreicht!" Halt die Schnauze, Navi!


BEDUDELT

Huch, das ist ja auf einmal so still! Wie spät ist es eigentlich? Jetzt hatte ich doch gerade so einen tollen Traum, und gerade als er - nee, das ist ja unheimlich! Man hört ja gar nix! Drei Minuten nach drei, sagt der Wecker, Gott, tickt der laut! Kein Auto, gar nix, noch nicht einmal ein Piepmatz! Ist das mein Herz, das da so pumpert? War wohl doch zu aufregend, der Traum, und gerade als er - na, jetzt fängt wenigstens Martin an zu schnarchen, ist ja geradezu beruhigend. Aber typisch, der pennt, bei all der Stille, könnte genauso gut die Welt untergehen, und er würde immer noch pennen. Schlaf des Unschuldigen, von wegen! Wer ist heute schon noch - was war das jetzt? Hat da was geknarrt? Kommt da jemand? Nee, jetzt krieg ich auch noch Verfolgungswahn! Wieder zu viele Krimis geguckt vor dem Schlafengehen, obwohl, der Tatort war ja sowas von lahm, wenn der niedliche Kommissar nicht wäre, werden ja heute alle nach Schönheit ausgewählt, die Hübschen kommen ins Fernsehen und die anderen zur Polizei - doch, es knarrt. Definitiv. Gibt doch gar nix zu klauen hier, was reg' ich mich eigentlich auf, sieben Smartphones hat doch jeder selbst heutzutage, Sozialhilfeempfänger haben größere HD-Bildschirme als kleine Programmkinos, also was soll's? Nix zu holen hier, hallo!

Aber diese Stille, beängstigend irgendwie. Noch vier Stunden, dann springt der Radiowecker an, nervt zwar total, wie können diese Moderatoren bloß so fröhlich sein vor dem Aufstehen? Und von da an läuft das Radio sowieso den ganzen Tag, hört eh keiner mehr hin. Spielen zwar immer das gleiche, aber ab und zu kommen ja auch die Sachen, die man mag. Sind natürlich alles uralte Kisten, die Kiddies stöhnen immer, was wir früher für ein Zeug gehört haben, mit Melodie und Text und sowas, nicht nur Bumm-bumm-bumm oder was sonst aus ihren Kopfhörern dröhnt, kriegt man doch Gehirnerweichung von! Bumm-bumm-bumm, den ganzen Tag lang, wahrscheinlich denken sie, sie sterben, wenn es eine Minute ruhig ist, oder die Welt hört auf sich zu drehen! Na gut, war ja bei uns damals nicht anders, wenn auch nicht ganz so laut. Gott, damals hat man noch durchgeschlafen, jedenfalls wenn man überhaupt irgendwie ins Bett gekommen ist, und natürlich war die Musik wichtig: Der erste Kuss - na gut, das sagen alle immer so, aber ehrlich, ich hab keine Ahnung mehr, irgendwie hab ich's vergessen, es war schummrig, feucht und komisch, die Musik hat eigentlich auch gar nicht gepasst, und den Kerl hab ich nie wieder gesehen, zum Glück!!! Aber klar, selbst wenn's nicht wahr ist, hat man so seine Momente, jeder hat die, ist auch egal, ob es wirklich so gewesen ist oder nicht, und wann hat man heutzutage überhaupt noch Gefühle, also außer Ärger und Frust und so, große Gefühle, richtig schöne, außer im Traum - und wollte er nicht gerade -? Nee, jetzt hab ich's endgültig vergessen.

Traum ist weg, so ein Mist, und immer noch diese Totenstille. Wenigstens gibt es Kino. Kann man ordentlich heulen, Titanic, Our love will go oooon, the last unicooorn! – ist ja irgendwie fest verdrahtet im Kopf oder wo auch immer, kaum dreht die Musik auf, müssen wir heulen, wir Frauen jedenfalls, und die Kerle doch heimlich auch, sollen mir nix erzählen! Wissen die in Hollywood natürlich, wahrscheinlich haben die eine Taste, da steht drauf "Sound für Liebesgeschichte, sentimental", mit einer Skala von eins bis zehn Tempo-Taschentüchern. Daneben "Liebesgeschichte, erotisch-angetörnt", da machen die Kerle schon eher mit! Und eine Taste für "Action, aggressiv", mit garantierter Adrenalin-Ausschüttung, und eine für "Weltuntergang", superlaut, und eine – nee, mehr braucht man eigentlich gar nicht. Entweder Sex oder Romanze oder Action oder Weltuntergang, mit dem richtigen Soundtrack, was anderes will ja sowieso keiner mehr sehen. Aber auf jeden Fall mit Soundtrack, ohne Musik würde kein Schwein das Taschentuch zücken, und der Weltuntergang wäre auch ziemlich kalter Kaffee, wenn es nur Flötentöne dazu gäbe. Neulich hab ich doch mal aus Versehen einen alten Film gesehen, das war ganz komisch, da war es zwischendurch ganz still, beinahe so wie jetzt; oder jemand hat einfach nur geredet, und dann kam das Kamel durch die Wüste angetrabt, erst ganz klein, dann langsam näher, eine Eeeeewigkeit, und kein einziger Ton dazu, nur Wüste und das blöde Kamel, Gott, wie haben das die Leute nur ausgehalten? Wahrscheinlich heimlich Radio gehört dabei, oder gedaddelt, oder umgeschaltet – geht nicht, da gab's ja noch gar kein Privatfernsehen, und auch keine Werbepausen. Sendeschluss war, komisches Bild, und Funkstille, völlig pervers; dann doch lieber Bernd das Brot in der tausendsten Endlosschleife!

Immer noch dreieinhalb Stunden, Vögel, werdet endlich wach und piepst eine Runde! Jetzt schnarcht er noch nicht mal mehr richtig! Muss ich mir weiter beim Denken zuhören, das will doch wirklich keiner, und das Herz pumpert immer noch so laut. Deshalb haben ja auch alle ständig Stöpsel in den Ohren, im Bus, beim Joggen, im Büro, wahrscheinlich auch in der Badewanne - und beim Sex? Na klar, beim Sex gibt's sowieso alles, kann man ja passendes erotisches Gestöhn einspielen – oder auf dem Klo, verdauungsanregendes Geplätscher, Pissmusik, da fällt uns schon was ein! Genauso wie das Supermarktgedudel, wir fallen ja doch alle drauf rein. Ist ja auch irgendwie schön manipuliert zu werden, wenigstens gibt sich jemand überhaupt mal Mühe! Eigentlich mag ich die Dinger ja nicht, blödes Gefühl in den Ohren, auch wenn sie immer kleiner werden, hat aber doch was von Oropax, und wer dabei nicht an seine Oma denkt und Seniorenheim und Rollator und Windel --- Andererseits. Lenkt ja ab. Wer will schon Verkehrslärm und Kindergeplärr oder Hundegekläff. Ist ja nicht alles Vogelgezwitscher. Und ganz ehrlich, das wird auch schnell eintönig, und wer kann schon eine Nachtigall von einer Lerche unterscheiden? Na gut, einen Geier vielleicht. Oder eine blöde Taube, gurren die nicht? Wenn wenigstens eine Taube gurren würde! Oder war das vielleicht doch eine Lerche? Nee, nur eingebildet. Immer noch still.

Vielleicht sollte ich doch die blöden Stöpsel reintun und ein bisschen Musik hören. "Sound deines Lebens", sagen sie doch immer, und im Traum waren wir doch gerade da, wo er - nee, ist und bleibt weg, warum hat man eigentlich keine Rückspultaste für Träume? Am liebsten hör ich ja Radio beim Autofahren. Ist zwar nicht still, aber mindestens so langweilig wie jetzt. Ohne Autoradio wären die Scheidungsraten wahrscheinlich dreimal so hoch, wenn das überhaupt noch geht, mathematisch und so. Ich weiß noch, wie wir einmal im Stau standen, fünf Stunden, völliger Alptraum, Pfingstferien, drei Wochen Dauerregen in Deutschland vorher, und alle wollten an diesem blöden ersten Ferientag über die Alpen, nur weg. Fünf Stunden, ab der Grenze Schritttempo, mit Kamelen wären wir schneller gewesen! Und dann geht das blöde Ding kaputt. Beinahe hätten wir uns schon vor Urlaubsbeginn so gefetzt, dass wir den ganzen Urlaub in die Kiste hätten kloppen können, ob mit Sonnenschein oder Dauerregen. Fünf Stunden Gespräch, ganz ohne Sound, das hält doch wirklich keiner aus! Worüber soll man denn bitte so lange reden? Acht Minuten redet das durchschnittliche deutsche Ehepaar am Tag, hat meine Mutter immer gesagt, hat sie in der Zeitung gelesen, und recht hat sie gehabt. Wer mehr redet, streitet nur. Oder prahlt oder lügt oder klatscht. Nachrichten sind auch nicht länger, würde ja keiner ertragen, all das Elend und die Lügerei. Die anderen haben natürlich voll aus den Fenstern gedröhnt, damals in Österreich, hat es auch nicht besser gemacht, bumm-bumm-bumm. In Italien hat dann natürlich die Sonne geschienen, klar. Ist doch immer so. Auf der anderen Seite scheint immer die Sonne.

Zweieinhalb Stunden noch, immerhin, weniger als im Stau damals, und wenigstens muss ich mich nicht mit Martin unterhalten. Werden auch schon mehr Autos, arme Schweine, sind das alles die frohsinnigen Radio-Moderatoren? Regnet das draußen eigentlich? Komisches Geräusch, hab ich lange nicht gehört, die Sonne scheint ja zum Glück ganz leise. Wenn's regnet, macht man ja sowieso gleich zu. Dafür sind Computerspiele schließlich erfunden worden, oder? Verregnete Sonntage, ultimativer Horror, damals, als wir noch klein waren, und dann sollten wir tatsächlich "vor die Tür gehen". Natur und Bewegung und so, und frische Luft. Ätzend! Mit Mütze, aber ohne Kopfhörer. Nee, da sitzt man doch besser vor der Spielekonsole und fährt ein bisschen Autorennen oder lässt die Sau raus am Ego-Shooter. Höllisch laut alles, klar, aber sonst wäre es ja irgendwie nicht echt. Soll sich ja anfühlen wie richtig, still ist es genug, wenn man tot ist. Nee, ganz falscher Gedanke, unheimlich. Das Herz pumpert immer noch so komisch, ist das eigentlich normal? Achtet man sonst ja nicht drauf. Man hat schließlich Wichtigeres zu tun als seinem Körper zuzuhören – Magenknurren zum Beispiel, oberpeinlich! Von sonstigen Verdauungsgeräuschen ganz zu schweigen. Oder seinem Gehirn beim Denken, Ratter-ratter-ratter, ganz viele kleine Rädchen, die ineinander greifen. Oder sich verhaken, dann hakt es mal wieder, soll ja vorkommen. Oder sind es doch eher kleine Stromstöße, bzzzz-bzzz-bzzz? Wenn man denken hören könnte, Gehirnknurren oder so - nee, gruselige Vorstellung! Was man alles so denkt, wenn es still ist, da geht es ja drunter und drüber in der Rübe!
Schalten wir doch lieber das Radio an, oder? Kann man eigentlich mit iPod schlafen? Gibt es dann Traummusik, "Sound deines Traumes"? Träumt man eigentlich überhaupt mit Soundtrack? Hopsen die Schäfchen zur kleinen Nachtmusik, oder doch lieber Rap zu den Herztönen, bumm-bumm-bummm? Aber dann hör' ich den Wecker nicht mehr, egal, Martin hört ihn ja, vielleicht jedenfalls. Und im Traum singen wir dann weiter. Ich seh' das Kamel schon springen, mitten durch die Wüste, im Hintergrund the last unicooorn! Und Bernd das Brot tanzt dazu, er hat Ohrstöpsel drin, aber eigentlich hat er doch gar keine Ohren, oder? Was soll das eigentlich alles …


ALLES IM KASTEN

Ach, ist es nicht schön, so kühl in der Kirche, und so groß alles! Wurde Zeit, dass wir mal rauskommen aus dem Hotel, man kann ja nicht den ganzen Tag am Strand liegen, und dann ab zum Buffet, und dann an den Pool, und dann wieder Buffet, und dann zur Abwechslung ein bisschen Wellness, und dann wieder - nee, man will ja auch mal was sehen, oder? Kultur und so! Schnuckeliger Führer hier, echtes Sahnestückchen, südländischer Typ, darf man den eigentlich fotografieren, wie er gerade so dekorativ vor dieser Madonna steht? Das Baby grinst ja ziemlich dämlich, waren meine niedlicher, auf den Fotos jedenfalls, und so'n großen Kopf hat es, ob das gesund ist? Nee, ist ja Christus, pietätlos! Also, schnell ein Foto aus der Hüfte, haaach, diese Südländer, so elegant, und wie er sich bewegt und - huch, jetzt guckt er her, ach so, man darf hier gar nicht fotografieren? Ja, wo gibt's denn sowas? Sind das Eingeborene, denken, wir nehmen ihnen ihre Seele weg oder so ein Quatsch? Dann wären wir ja schon alle sowas von in der Hölle, ich kann's gar nicht sagen! Nee, im Gegenteil: So ein Foto beweist doch erst, dass man eine Seele hat, je mehr Fotos, desto mehr Seele geradezu, jawoll! Ich wüsste gar nicht mehr, ob ich da bin, so ganz ohne mein tägliches Selfie! Posing gehört schließlich zur Grundausbildung heute, werden sie bald in der Schule unterrichten, jedenfalls für die Mädels, bevor sie lesen können – ach was, bevor sie laufen können, können sie den Kopf schieflegen, Schmollmund und die Hüfte rausstrecken. Sind ja auch niedlich, und wenn nicht, richtet es der Schönheitschirurg schon! Fängt im Kindergarten an, fotografieren in der Matschkiste und beim Stuhlkreis, und dann in der Schule, wenn erst die Klassenfahrten und Projekttage und Theateraufführungen kommen und was nicht alles, und im Sportverein sowieso, und Konfirmation erst! Tanzschule!! Ich sag nur. Die reinen Fotoorgien, jedes Mal eine dicke CD hinterher, wer soll das eigentlich alles angucken? Egal, kommt in die Kiste, für später mal, wenn sie nicht mehr so niedlich sind, so wie wir heute, da geht sowieso kein Weg dran vorbei, Weg alles Irdischen und so, da hilft kein Posing mehr, und irgendwann auch nicht mehr der allerbeste Schönheitschirurg!

Von wegen Fotografierverbot hier, machen doch alle anderen auch, ich seh' doch, wie sie heimlich ihre Handys zücken. Kann man heute eh nicht mehr verbieten, ist ja ein Grundrecht, sozusagen, Recht am Bild, heißt das nicht immer so in den Nachrichten? Und was hat die Kirche eigentlich zu verbergen, häh? Klar hat sie was zu verbergen, jede Menge sogar, wissen wir inzwischen alle, aber sogar das hat sie wahrscheinlich fotografiert, liegt irgendwo in großen Geheimarchiven, Illuminati sag ich nur, wir sind ja nicht blöd! Aber na gut, ist eh zu dunkel hier, man kann ja mal zu hören, was er so erzählt, der Schnucklige - huch, jetzt sind sie schon weiter gelaufen, vor zum Altar. Nee, was für eine Pracht, all das Gold, guck doch mal, und die schönen Kerzen! Eigentlich schade, dass man nicht hin darf, da könnten wir uns doch jetzt gut aufstellen, Gruppenfoto mit Heiligen, ist aber auch verboten. So ein Blödsinn, früher wären sie dankbar gewesen mit ihrer komischen Heiligenverehrung, wenn sie die Reliquien hätten fotografieren können, wär' ja auch besser gewesen als immer nur das Begrapschen und geweihtes Wasserabfüllen und was nicht. Guck, interessant, stimmt nämlich, sagt das Sahnestückchen gerade: Deshalb wollten sich nämlich auch alle armen Sünder – wir also - in der Nähe von Heiligen begraben lassen, von wegen pole position bei der Auferstehung der Toten und so, und wer am nächsten beim Heiligen aus dem Grab krabbelte, hatte schon mal einen Vorsprung! Ist auch nicht anders als ein Autogramm von Madonna, hat man das Paradies schon fast gepachtet, und fotografiert wär's noch viel besser gewesen, hätte man einen Beweis gehabt und dem alten Herrn zeigen können, wenn er wieder an der Tür steht und keinen reinlässt!

Irgendwie hat das Altarbild ja auch was von Facebook, Gruppenfoto mit Grimassen, warum gucken die eigentlich alle so komisch? Ach so, die Greinenden kommen in die Hölle, grusliger Höllenrachen, man sieht die Flammen grad lodern wie im künstlichen Kamin, und die Grinsenden in den Himmel, den zeigen sie uns lieber nicht. Wer weiß schon, wie's im Paradies ist, wahrscheinlich auch nicht anders als all-inclusive, nur ewig, sozusagen, und mit Engeln als Animateuren, und natürlich nimmt man nicht zu, wenn man den ganzen Tag frisst, logisch, man hat ja keinen Körper mehr, oder? Aber wie isst man dann eigentlich? Seelenfutter, nee. Und Fotoverbot, natürlich, wär' die ganze Spannung ja dahin, und nachher fänden die Leute die Hölle sogar interessanter. Jetzt sind sie schon wieder weiter, muss doch erst die greinenden Verdammten fotografieren, schnell heimlich, der eine sieht aus wie mein Chef, und natürlich tragen die noch ihr Krönchen, haben sie damals schon gewusst, die mit den Krönchen sind die Allerschlimmsten! Die tollsten Bischofspaläste bauen lassen, klar, aber wacker was weg sündigen. Immerhin stand damals noch nicht alles gleich im Internet oder bei Twitter oder in der Illu, was haben die Leute bloß gelesen beim Friseur? Heiligenklatsch, die heilige Barbara wieder beim Klauen erwischt, und der heilige Petrus hat's ja auch nicht so gehabt mit der Wahrheit. Und wahrscheinlich gab's einen heimlichen Wettbewerb, wer die meisten Pilger hatte – sind ja auch nur Follower, irgendwie - und wessen Name am meisten vergeben wurde (like it!) und wer den tollsten Reliquienschrein mit dem meisten Bling!

So, jetzt sind wir endlich draußen, mei, immer noch so heiß, aber jetzt darf man wenigstens endlich wieder knipsen! Guck, jetzt schmeißen sie sich alle ran an den schnuckligen Führer, typisch! Aber ich mag ja den Typ am Pool noch lieber, lässt sich auch immer fotografieren, hab schon ganz tolle Fotos mit ihm auf Facebook gestellt, damit die Kühe im Büro ordentlich neidisch werden, jawoll! Früher hat man ja noch Ansichtskarten geschrieben, aber ich seh' schon fast gar keine mehr, ganze Industrie ist dahin, schade eigentlich; hatte man wenigstens einen Vorwand in die Andenkenläden zu gehen, alle Ständer durchwühlen, daneben natürlich ordentlich Souvenirs abgreifen, staubt alles dahin, und sieht auch irgendwie alles blasser aus zuhause, komisch irgendwie, man schämt sich fast. Aber schreiben, das war echt ätzend, keine Idee, Wetter, Hotel, Strand, Essen, was soll man schon sagen, und selbst wenn's voll der Griff ins Klo gewesen wär, hätte man's nicht zugegeben, ist doch logisch! Und dann noch eine an Oma, als sie schon lang nicht mehr lesen konnte, und an die Kollegen, damit sie neidisch werden - nee, Facebook ist besser -, und dann hatte man immer noch jemand vergessen, der beleidigt war. Lästig!

Lieber gleich noch ein Foto, der Speicher hält's aus, und knipsen sowieso alle wie wild, jede Taube, als hätten wir die Viecher nicht zuhause genug, und die komische Kirche von oben unten vorn hinten, wen interessiert die schon, aber am meisten natürlich sich selbst – ja klar, mache ich doch gern, wo muss ich draufdrücken? Also, smile, alle CHEESE, prima, bitte! -, möchte wissen, was sie mit dem Zeug machen, wenn sie zuhause sind. Ob ich mit drauf möchte? Aber logisch, ist doch eine schöne Erinnerung, oder? Ja, Käsekuchen, klick, bitte – nee, war nix, hat nicht geklappt, also noch mal, CHEESE, jetzt endlich, wo war ich? Ist ja wirklich ein komischer Anblick, wie sie da alle stehen, ganzer Platz voll Menschen, und alle schauen in kleine viereckige Kästen. Wenn jetzt ein Raumschiff landen würde, die Aliens würden wahrscheinlich meinen, wir könnten gar nicht gucken, das seien Sehhilfen oder so, wir würden die Welt nur in viereckigen Ausschnitten sehen, und wenn wir die Kästen wegnehmen, sind wir blind und tapsen umher und erkennen uns gegenseitig nicht mehr und fallen uns über die Füße. Ist ja auch so, irgendwie, ich meine, sind ja Erinnerungen, so Fotos, und wenn ich überleg, unsere letzten Reisen, da erinnere ich mich eigentlich nur an die Fotos – da hat Martin besonders dämlich geguckt, und da hatte ich das neue Sommerkleid aus dem Sonderangebot an, und da war alles verwackelt, weil wir an der Poolbar schon zu viel gebechert hatten, und der Sonnenuntergang hatte meistens, glaub ich, eigentlich eine ganz andere Farbe. Ist aber egal, man erinnert sich halt an das Foto, nicht an den dämlichen Sonnenuntergang, kommt ja auch jeden Tag wieder, was ist schon dabei, meist sind doch Wolken davor und die Kirche steht hier auch schon tausend Jahre, wird ja nicht weglaufen. Gott, wenn Fotografieren abnutzen würde, wäre schon kein Stein mehr auf dem anderen!

Deshalb war die Vergangenheit ja auch schwarz-weiß, wie auf den Hochzeitsfotos von Oma und Opa - und im Ernst, ich glaub wirklich sie war es, so wie die aussahen -, und dann war sie vergilbt, wie bei Mutti und Papa - sind ja inzwischen auch nicht mehr ganz frisch, um ehrlich zu sein -, und bei uns war sie schon hochglanzpoliert und echter als echt. Hat ja auch saumäßig gekostet, damals, und Martin hat gemault, weil es so lang gedauert hat und der Fotograf immer noch neue Ideen hatte und er die ganze Zeit verzückt in meine Augen starren sollte, "romantisch", wie man so sagt, Gott, bei all dem Hochzeitsstress vergeht einem die Romantik echt, zum Glück hat's der Fotograf dann unscharf gemacht. Hat ja schon ein bisschen was Albernes, ehrlich, man kennt sich ja selbst nicht mehr hinterher, und das Geld erst! Aber schön, muss ja sein, und was zum Vorzeigen, und für die Enkel, damit die später nicht meinen, die Großeltern hätten schwarz-weiß geheiratet - lol! meinen sie sowieso, jetzt schon, und ihre Hochzeitsbilder sind dann wahrscheinlich 3D und mit Soundtrack. Die Ehen halten davon auch nicht länger, im Gegenteil, wahrscheinlich gibt's einen statistischen Zusammenhang zwischen der Anzahl und Qualität der Hochzeitsbilder und der durchschnittlichen Ehedauer und -qualität, das sollte die Wissenschaft mal untersuchen!

Hebt man ja auch auf, sowas, aber all die anderen Fotoalben! Stehen im Keller, gilben vor sich hin, die Fotoecken fallen ab und keiner guckt. Dann doch lieber auf dem PC, ist ja Platz, man kann sie auch photoshoppen, ob man sich selbst noch ein bisschen bräuner färben kann? Und den Hüftspeck etwas weg, wegen Bikinifigur? Und das Scheißwetter gestern, das wird man ja wohl auch wegmachen können, oder? - na ja, theoretisch und so. Wenn man sich die Zeit nehmen würde, hallo, geht's noch? Wie denn eigentlich? Noch nicht mal im Urlaub hat man Zeit, das Buffet ruft die ganze Zeit, und die rennen hier auch schon wieder weiter, ich bin noch gar nicht fertig mit fotografieren, und das Sahnestückchen ist mir immer noch ausgekommen! Also, ein letztes Selfie, posing und smile!!!, und ab zur nächsten Kirche! Hab jetzt schon vergessen, wie die hier heißt, müsste ich mir ja eigentlich merken, wegen Fotoalbum und so. Ach was, ist sowieso für die Katz, egal ob im Album mit Eselsohren oder aus der Cloud direkt auf den HD-Bildschirm, die Leute waren doch selbst schon überall, sogar da, wo wirklich keiner hin will, und ehrlich, will ich denn auch noch wissen, was sie da gemacht haben? Reicht doch, wenn ich sie zuhause sehe und im Facebook, da kann ich gern auf drei Stunden "und da haben wir die welt-berühmte Kirche in xyz angesehen, hab aber vergessen wie sie heißt, und da ist Klaus am Pool, und das war der tollste Sonnenuntergang überhaupt, und guckt, bin ich nicht braungebrannt!" verzichten, sogar wenn es Nachos gäbe oder Popcorn dazu.

Der gemeine Diaabend stirbt ja zum Glück aus, ebenso wie die gemeine Postkarte und hundsgemeine Fotoecken, die immer runterfallen. Vielleicht sollte ich schnell noch ein paar Fotos davon machen: "wir beim endlosen Dia-abend von Uschi und Klaus, Provence, die 17.". Oder: "Tourist beim Schreiben einer Ansichtskarte, man beachte den angestrengten Gesichtsausdruck". Oder: "unbekanntes Familienmitglied beim Einkleben von Fotos in ein Papieralbum mithilfe von Fotoecken". Wär wenigstens mal originell. Schließlich fotografieren wir uns ja auch alle beim Fotografieren, hallo Marsmännchen, huhu, wollt ihr auch ein Foto? Nee, würden sie wahrscheinlich sagen, verlieren wir unsere Seele bei und dürfen nie mehr nach Hause. Wir haben aber Fotos dabei, vom Mars, wollt ihr die sehen? Sind leider grünstichig. Hey, rennt doch nicht so, ich will noch ein Foto machen!


KORREKT GEDACHT

Jetzt hat Max doch schon wieder einen neuen Polenwitz aus der Schule mitgebracht, ist ja peinlich, aber, seien wir ehrlich, sie sind wirklich zum Schreien komisch! Na gut, früher hatten wir schließlich auch Ostfriesenwitze, zum Glück hat keiner einen gekannt, man kennt ja auch keine Polen, sonst müsste man sich doch schämen. Oder Blondinenwitze, Gott, waren die nicht wirklich klasse? Endlich hatte man als Frau mal einen Vorteil davon, nicht dämlich-strohblond zu sein! Weiß aber keinen mehr, und den Polenwitz habe ich auch schon wieder vergessen, Alzheimer lässt grüßen! Oder, ganz früher, fällt mir gerade ein, da hatten wir Häschenwitze, hattu Möhren, und alle haben sich gekringelt, siehste, ich weiß doch noch was! War natürlich politisch völlig unkritisch, zum Glück, heute würden sich sogar die Hasen über hasenfeindliche Witze beschweren, aber hallo, sowas von unsensibel gegenüber unseren tierischen langohrigen Mitgeschöpfen! Nee, heute muss man echt aufpassen, was man sagt, von morgens bis abends, und irgendwann träumen wir dann auch politisch korrekt. Neger, sag ich nur, ich weiß immer noch nicht, wie man nun gerade richtig sagt, ändert sich ja auch laufend, sind das nun Schwarze oder Farbige oder – nee, das war doch wieder so ein Witz von Max! – Maximal-Pigmentierte? Googeln wir schnell, man weiß ja nie, wann man's braucht – aha, also Afroamerikaner oder Afrodeutsche oder Afro-was-auch-immer. Gab ja auch mal ne Cola, die so ähnlich hieß, gute Eselsbrücke, und Cola ist nun definitiv völkerverbindend! Weiß eigentlich gar nicht, was an schwarz falsch sein soll, weiß zu sein ist doch definitiv nicht schöner, "weiße Frau" klingt entweder nach Gespenst oder nach Uroma. Und Chinesen sind ja sowieso gar nicht richtig gelb, und Indianer nicht richtig rot, da könnte man sich doch freuen über eine kräftige Farbe! Andere Leute tragen ihre sauer verdienten Mäuse ins Solarium und werden erst rot und dann dunkelbraun und sterben am Ende an schwarzem Hautkrebs! Blödheit ist sowieso universal, Farbe hin oder her.

Nee, je länger man darüber nachdenken muss, wie man nun sagen soll oder auf keinen Fall sagen darf, desto schlimmer wird es, und wir hätten doch wahrscheinlich schon längst alle blöden Geschichten von der Oma über Zigeuner vergessen, wenn wir nicht immer so unsicher wären, ob es nun Sinti oder Roma oder, schnell nachschauen - eine mobile ethnische Minderheit, kurz MEM, siehste, was Google wieder alles weiß! – sind. Oder, noch schlimmer, Schwule und Lesben. Hab als Kind ja gar nicht gewusst, was das ist, bis die BFF - nee, eigentlich nicht forever, keine Ahnung, was die heute macht! - mich dann darüber aufgeklärt hat, dass die beiden netten und wohlfrisierten Herren von nebenan, die Mutti immer so bereitwillig beim Gardinenkaufen beraten haben, schwul waren, und was das eigentlich bedeutet, unscharf zumindestens. Mutti hat's erst hundert Jahre später geschnallt! Und einen Schäferhund hatten sie auch noch. Klar, ist ein Klischee, aber ist nun mal wahr. War ehrlich so, ich sehe die Fönwelle heute noch! Und der Schäferhund hat mein Meerschweinchen gefressen, eigentlich sollte ich ein Riesen-Schwulen-Trauma haben! Gott, was bin ich aber doch tolerant!

Aber heute sind wir ja wieder längst über schwul und lesbisch raus, seit die Feuerwehr-Blaskapelle auch bei der Love Parade mitmarschiert, wie heißt das jetzt noch mal, liebes Google, irgendwas mit ganz vielen Buchstaben, da, genau: LGBT. Gab es nicht mal LGP, in der DDR früher? Genau, landwirtschaftliche Produktions-irgendwas, Kollektiv und böse, war ja DDR - komisch, über die DDR darf man alles Böse sagen, warum eigentlich? Mir gegenüber im Bus sitzt eine LGBT. Mein Schwager ist LGBT. Nee, das tut echt weh - huch, reimt sich ja! Dürfen jetzt auch heiraten, mein Beileid, und wir dachten immer, ihr seid anders und schlauer! Und demnächst Kinder adoptieren, na gut, wenn's denn sein muss, besser zwei liebe LGBT-Eltern als eine massiv dysfunktionale Kernfamilie! Tolles Wort, hat Ronja aus der Schule mitgebracht, klingt auch besser als "Chaotenfamilie" oder ganz simpel "schlechte Eltern", so als könnte man es reparieren. Kann man aber nicht, und wenn es noch so toll klingt.
Wird sowieso auf die Dauer kompliziert, wenn man mal so drüber nachdenkt. Also, zwei lesbische oder LGBT-Frauen adoptieren ein Kind, oder wegen mir auch Samenspender und künstliche Befruchtung, wie auch immer, es ist ein Junge. Dann lassen sie sich scheiden, ist in Ordnung, machen wir anderen ja auch alle, und ihr wolltet doch endlich genauso sein, gell? So, geteiltes Sorgerecht, wir sind ja modern, und dann gehen beide neue Lebenspartnerschaften ein, und zwar wieder mit Frauen. Dann hat der arme Knabe schon vier Mütter, von den acht Großmüttern wollen wir gar nicht reden, und wahrscheinlich Doppel-Dreifach-Vierfach-Namen dazu! Ich sehe den Elternabend in der Grundschule schon direkt vor mir! Patchwork ist ja nett, aber ab und zu wäre eine einfache Wolldecke auch recht, hält auch wärmer. Aber nun gut, des Menschen Wille und so, und zum Glück wollte ich echt nie-nie-nie ein Kerl sein, und auch nix dazwischen. All die Probleme mit dem Testosteron, den ganzen Tag entweder aufschneiden oder Frauen hinterher glotzen oder beides, das nervt doch! Die Mädels manipulieren die armen Jungens heute schon im Kindergarten, besser in der Schule sind sie auch, und keiner kann sich mehr vorstellen, dass wir mal Bundeskanzler hatten, die Kerle waren; wirklich Zeit, dass die Herren der Schöpfung sich mal emanzipieren! Und dann müssen sie noch Karriere machen und kriegen den Herzinfarkt. Nee, echt nicht, nein danke! Dann doch lieber Frau, sogar wenn man dann die Niete gezogen hat mit PMS - schon wieder so ein Abkürzungsding! -, Wehen und Wechseljahren! Wenigstens hat man die Freiheit sich nicht zu emanzipieren, jawoll!

Darf man eigentlich auch wieder nicht sagen, komisch eigentlich, je mehr sie herausposaunen, wie wichtig und besonders und individuell und anders jeder-jede-jedes ist, desto weniger darf man's sein, weil wir sind ja alle gleich, irgendwie. Hab ich nie kapiert, ist wohl einfach immer so, wie's gerade besser passt. Wenn wir schuld sein sollen, sind wir die bösen Deutschen, und wenn wir Polenwitze machen heißt es, dass das total schlimme nationale Klischees sind und alle Menschen doch irgendwie genauso oder anders oder eben total individuell. Von wegen, muss man doch nur durch die Stadt gehen, überall das gleiche, New York, Rio, Tokio: Sieht alles aus wie gigantische Großflughäfen, vollklimatisierte Shoppings-Malls mit Einheitsbedudelung, Coffee-Shops und den angesagten Marken von Apple bis Zara und wieder zurück! Multikulti gibt's nur noch im Bahnhofsviertel, und ist ein bisschen schmuddelig und gruselig. Klar, mit Multikulti kann man ja auch nicht so viel Geld verdienen, außer man rechnet pseudo-bayerische Dirndl fürs Oktoberfest dazu, Gott, was die kosten, Ronja musste ja unbedingt eins haben, mit Täschlein und Schühlein, arm wird man mit all der Volkskultur! Geld verdient man halt mit Marken und mit Mode und nicht mit Multikulti, und jeder ist zum Umfallen individuell, wenn er endlich wieder das hat, was alle anderen diese Saison auch haben, und seien es lächerliche wattierte Jäckchen und Haremshosen, die man ein halbes Jahr davor für eine wirklich krasse Geschmacksverirrung gehalten hätte! Waren doch Ha-remshosen dieses Jahr, oder? Hab ich eigentlich schon eine, und wenn ja, in welcher Farbe brauche ich noch eine zweite?

Aber was hilft's, man will ja dazugehören, kaufen macht schließlich Spaß, und Shopping ist gut für die Volkswirtschaft, sag ich ja immer und immer wieder! Man hat doch Pflichten als Bürgerin! War natürlich auch so ein Marketing-Trick, dass man jetzt "shopping" sagt und nicht mehr "einkaufen", das hatte so was hausmütterlich-lästiges, wie Wasserflaschen schleppen und Klorollen aus dem Sonderangebot und so. Englisch klingt gleich cooler, und macht ja einen Unterschied, ob man zu Edeka geht oder ins Outlet-Center, oder ob man schick ist oder stylish; klingt gar nicht mehr nach bösem Konsum, sondern nach einem ordentlichen Hobby, man braucht Zeit, man muss sich informieren, man muss schwierige Entscheidungen treffen, ist auch irgendwie sozial, mit den Freundinnen, wer will da schon noch Briefmarkensammeln oder Taubenzüchten? Macht nur Arbeit und Schmutz.
Klar, in der Schule müssen sie dann sagen, dass das ganz schlimm ist und böse, markenfixiert und so, soziale Ausgrenzung, da sitzen sie dann in ihren Hollister-T-Shirts mit ihren iPhones, aber tut ja nicht weh, das zu sagen, wenn es der Lehrer denn hören will. War bei uns ja genauso auf der Schule, wenn man es einmal verstanden hatte: Die "Gesellschaft" war damals halt an allem schuld, keine Ahnung, wer das eigentlich sein sollte, man selbst und alle zusammen doch eigentlich, oder? Egal, die Gesellschaft ist schuld, und wir müssen den Regenwald retten und die Pandababys, den ganzen lieben langen Schultag lang, bis wir endlich wieder shoppen dürfen-können-müssen. Und NS-Zeit und Apartheid, bis man es nicht mehr hören konnte, klar, schlimm, böse, total, wir haben verstanden, aber gibt's denn sonst nichts auf der Welt, was man wissen sollte? Heute ist es ja "Globalisierung" den ganzen Tag, sagen Ronja und Max, aber die Gesellschaft ist immer noch schuld. Nee, auch die Banken, aber keinesfalls der Kapitalismus! Das ist wenigstens mal neu, aber wie genau, hat auch noch keiner erklärt, interessiert auch keinen, müsste man ja nachdenken, also, wirklich nachdenken meine ich! Ist zwar total wichtig, eine eigene Meinung zu haben und kritisch denken und Argumente dafür und dagegen und so, aber am Ende sagt man das, was der Lehrer hören will! Und dass "die Gesellschaft" schuld ist, wegen mir auch "die Massenmedien" oder "die Banken", Hauptsache nicht man selbst, nämlich, dann müsste man ja was ändern und dürfte nicht mehr shoppen gehen und keine Polenwitze machen und den Regenwald retten statt auf die Malediven zu fliegen. Opfer, sagt Max dann immer und grinst dieses Grinsen, ist ja nicht nett. Was tut man eigentlich, wenn man eine blonde bisexuelle Polin ist, mit Häschen, die im Regenwald lebt? Opfer hoch 5, nee hoch 6, denn zu alldem ist man ja auch noch Opfer!

Andererseits. Eigentlich schlimm ist ja normal, wer will schon normal sein, oder? Nee, wahrscheinlich darf man schon normal nicht mehr sagen, dann wäre ja irgendwo einer unnormal und gemobbt und nicht inkludiert! Oder ist normal inzwischen einfach unnormal? Bin schon ganz verwirrt. War aber schon als wir noch klein waren so. Normal durfte man echt nicht sein, und wenn man noch so zum Himmel stinkend stinknormal war und eigentlich auch gar kein Problem damit hatte. Pippi Langstrumpf zum Beispiel, echt Opfer, da war mir ja Anita, die Langweilerin, noch lieber! Pippi tat einem eigentlich nur leid, echter Scheißname, ganz alleine, noch nicht einmal eine Patchworkfamilie mit vier Müttern, und das totale Antiklischee-Klischee! Würde heute wahrscheinlich in einem Niedrigenergiehaus wohnen und hätte ganz sicher keine Haustiere von bedrohten Arten, von wegen Regenwald und Pandababys. Überhaupt, die „kleine Hexe“ ist ja auch schon falsch heute, aber wie soll "kleinwüchsige Fachperson für magische Angelegenheiten" jemals auf das Titelblatt passen, und wer will den Schrott lesen? Und Märchen erst! Rumpelstilzchen kriegt eine Antiaggressiontherapie, aus den Prinzen und Prinzessinnen machen wir alle LGBTs, und Aschenputtel - nee, ist ja eine soziale Minderheit, Prekariat und so -Designerschuhe!

Gott, wie bin ich jetzt nun wieder darauf gekommen? Normal, richtig. Nee, normal geht gar nicht, und wer keine Macke hat, erfindet sich besser eine, wahrscheinlich gibt es schon Mackenberater! Am besten natürlich eine gerade angesagte, Burnout oder so, oder die Kinder AHDS, Gott, bis man sich das alles in der richtigen Reihenfolge gemerkt hat, LGBT, PMS, ADHS, oder war das jetzt anders herum? Und dann noch lol und yolo und was weiß ich. Irgendwann reden wir nur noch in Abkürzungen, lässt sich auch schneller tippen auf dem Handy. Und eigentlich ist es sowieso egal, zuhören tut sowieso keiner, je mehr sie simsen, desto weniger haben sie zu sagen, außer Polenwitzen. Aber natürlich verdient jemand dran, und nicht zu wenig, aber hallo! Ach, war ja wirklich einfacher, als wir nur Häschen-Witze hatten, hattu Möhren? Natürlich haben wir auch Müll geplappert den lieben langen Tag sogar, wer plappert, denkt wenigstens nicht, aber wir haben den Mist nicht auf YouTube gestellt oder gebloggt oder gefacebookt. Und man konnte auch einmal einen Moment ruhig in der Ecke sitzen ohne das Gefühl zu haben, dass man stirbt, weil man nicht kommuniziert! Und Ausländer waren noch nicht "Mitbürger mit Migrationshintergrund", und Behinderte waren behindert und nicht "anders begabt", weil wir ja alle an den meisten Orten Ausländer sind und es wirklich ziemlich hinderlich im Leben ist, querschnittsgelähmt zu sein. Und "anders befähigt" ist sowieso jeder, sogar die, die wirklich gar nix können, aber echt nicht behindert sind, sondern einfach nur stinkfaul.

Andererseits. Gibt gute Witze, all der Korrektheits-Sprachmüll, wenn es schon sonst nix hilft. Man denkt nämlich doch, was man will, und erst recht, wenn man es nicht sagen darf, das weiß doch nun jeder, der mal jung war! Und wenn's drauf ankommt, kann man immer noch korrekt sein, ist ja ziemlich einfach, und man bekommt noch Beifall fürs hirnlose Nachplappern, wieder einen eigenen Gedanken gespart, man hat ja nicht viele, und die Welt ist wieder in Ordnung, auch wenn sie es echt nicht ist. Ist halt wie in der Schule, irgendwas lernt man doch fürs Leben, und wenn's das Falsche ist. Jetzt ist mir der Polenwitz endlich wieder eingefallen!